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1975

Einführung des Wohnsitzprinzips in der Sozialhilfe

Bis in die 1970er-Jahre können verarmte Bürgerinnen und Bürger von ihrem Wohnort weggewiesen und an ihre Heimatgemeinde überstellt werden. 1975 wird dieses Relikt endgültig abgeschafft. Alle Verarmten kommen nun in den Genuss der vollen Niederlassungsfreiheit.

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Am 7. Dezember 1975 nutzten die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger die Gelegenheit, einen "alten Zopf" abzuschneiden. Mit 76 Prozent Ja-Stimmen stimmten sie dem Wechsel zum Wohnsitzprinzip in der Sozialfürsorge zu: Damit bekamen unterstützungsbedürftige Schweizerinnen und Schweizer in den Genuss der vollen Niederlassungsfreiheit.

Die Bundesverfassung von 1874 garantierte zwar grundsätzlich die Niederlassungsfreiheit. Sie machte jedoch eine Ausnahme bei Schweizer Bürgerinnen und Bürger, die unterstützungsbedürftig waren. War der Heimatkanton nicht bereit, für die Unterstützung aufzukommen, konnte der Wohnkanton den Betroffenen die Niederlassung entziehen und die Heimschaffung anordnen. Kantonsverweisungen waren ebenfalls zulässig aus polizeilichen Gründen, namentlich bei vorbestraften Personen.

Bereits 1916 hatten einzelne Kantone auf den Konkordatsweg versucht, solche Massnahmen zu beschränken. Noch in den 1960er-Jahren kam es aber zu Heimschaffungen und zur Bestrafung wegen Nichtbeachtens solcher Verweisungen. Erst 1964 waren alle Kantone dem Konkordat über die wohnörtliche Unterstützung beigetreten. Die Neuregelung von 1975, die zwei Jahre später auf Gesetzesstufe verankert wurde, sah schliesslich generell die wohnörtliche Unterstützungspflicht vor. Das Bundesgesetz über die Zuständigkeit für die Unterstützung Bedürftiger von 1977 markiert deshalb einen wichtigen Einschnitt in der Geschichte des schweizerischen Armen- und Fürsorgewesens, in dem das Prinzip der heimatörtlichen Unterstützung immer eine wichtige Rolle gespielt hatte. Auch nach dem neuen Gesetz konnten Wohnkantone allerdings die Kosten für die gewährte Unterstützung während einer Frist von zehn Jahren von den Heimatkantonen zurückfordern. 1990 wurde diese Rückerstattungspflicht auf zwei Jahre verkürzt. 2013 wurde ihre gänzliche Abschaffung beschlossen.

Literatur / Bibliographie / Bibliografia / References: Matter Sonja (2011), Das Wohnort- und Heimatortprinzip in der Fürsorge vor 1975, in J. Mooser, S. Wenger (ed.), Armut und Fürsorge in Basel, 239–248, Basel; Kreis Georg (2011), 1975 – Das endliche Ende der Heimschaffungen in der Fürsorge, in J. Mooser, S. Wenger (ed.), Armut und Fürsorge in Basel, 249–259, Basel. HLS / DHS / DSS: Fürsorge; Volksabstimmungen.

(12/2014)