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Christlichdemokratische Volkspartei

Seit ihrer Gründung Anfang 20. Jahrhunderts war die Katholisch-Konservative (ab 1970 die Christlichdemokratische) Volkspartei von christlichsozialen Strömungen bestimmt und setzte sich für sozialpolitische Anliegen ein. Diese Tendenzen widerspiegelten sich vor allem in der parlamentarischen Vertretung und im Vereins- und Gewerkschaftsleben sowie beim Engagement der Partei für die Familie.

Seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts organisierten sich die konservativen Katholiken politisch in Opposition zur laizistisch-liberalen Ausrichtung. Nach ihrer Niederlage gegen die Freisinnigen 1848 vertraten die katholisch-konservativen Eliten auf eidgenössischer Ebene eine politische Minderheit. Erst 1891 erlangten die Katholisch-Konservativen einen ersten Sitz im Bundesrat und einen zweiten 1919 im Rahmen der Konsolidierung des «Bürgerblocks» gegen die Arbeiterbewegung. Diese Integration war begleitet von einer allmählichen Annäherung an die Hauptausrichtung der liberalen Wirtschaftspolitik, wobei die konservativen Positionen vor allem in kulturellen und religiösen Belangen beibehalten wurden.

1912 organisierten sich die Katholisch-Konservativen auf Bundesebene und gründeten die Schweizerische Konservative Volkspartei (KVP). Diese wurde 1957 in Konservativ-Christlichsoziale Volkspartei umbenannt und 1970 in Christlichdemokratische Volkspartei (CVP). Von 1920 bis Ende der 1980er-Jahre vertrat die Partei zwischen einem Fünftel und einem Viertel der Wählerschaft und verfügte über rund einen Viertel der Sitze im Nationalrat und 40 Prozent der Sitze im Ständerat. In der Folge ging der Wähleranteil zurück, und 2011 erreichte die CVP nur noch 12 Prozent der Stimmen und 28 Sitze im Nationalrat. 2003 verlor die CVP einen Sitz im Bundesrat an die Schweizerische Volkspartei (SVP).

In der Sozialpolitik trug der konservative Flügel der Partei dazu bei, dass Sozialversicherungen nur mit Verzögerung eingeführt wurden, dies insbesondere durch die Ablehnung der Lex Forrer im Jahr 1900. Eine andere Tendenz jedoch, inspiriert von der christlichsozialen Doktrin, führte die Partei zur Förderung gewisser Formen der Sozialen Sicherheit, die sich bisweilen nicht stark von den sozialistischen Initiativen unterschieden. 1891 lieferte die Enzyklika Rerum novarum von Papst Leo XIII. eine erste offizielle theoretische Grundlage der christlichsozialen Ausrichtung. Diese war zwar gegen den Sozialismus, förderte jedoch die gegenseitige Arbeiterhilfe und setzte sich für soziale Massnahmen des Staates zugunsten der Unterschichten ein. Es entstanden zahlreiche christliche Gesellschaften, sowohl im kulturellen Bereich als auch in der genossenschaftlichen Arbeiterhilfe. Sie unterstützten die politische Organisation des katholischen Flügels und versuchten, der aufkommenden Arbeiterbewegung, die als Bedrohung für den Katholizismus betrachtet wurde, eine Gegenbewegung entgegenzusetzen. Die Entstehung des Zentralverbands christlichsozialer Organisationen der Schweiz (1903) und des Christlichsozialen Gewerkschaftsbunds (1907) verstärkten die Strukturen dieses christlichsozialen Milieus. Die christlichen Gewerkschaften, wie auch jene, die dem Schweizerischen Gewerkschaftsbund angegliedert waren, gründeten ihre eigenen Vorsorgekassen, namentlich in den Bereichen Krankheit, Unfall und Arbeitslosigkeit.

Die ideologische Geschlossenheit dieser verschiedenen katholischen Gesellschaften begann nach dem Zweiten Weltkrieg zu bröckeln, und es entstand ein Graben zwischen der Kirche und der katholisch-konservativen Partei. Der relativ enge Zusammenhalt des katholischen politischen Lagers machte nun der Meinungsvielfalt Platz, ein Prozess, der durch die Urbanisierung und die massive Einwanderung katholischer Arbeiterinnen und Arbeiter aus Südeuropa noch befördert wurde. Der soziale Flügel gewann gegenüber den Konservativen an Boden.

Im Bereich des Sozialstaates machte sich die CVP vor allem in der Familienpolitik stark. 1942 reichte die Partei die Volksinitiative «Schutz der Familie» ein. Diese wurde 1945 zugunsten eines Gegenvorschlags zurückgezogen, wodurch die Mutterschaftsversicherung und Familienzulagen in der Verfassung verankert wurden. Mit der Lancierung dieser Initiative setzten sich die Katholisch-Konservativen für ein von der Sozialdoktrin der Kirche beeinflusstes Gesellschaftsmodell ein, das die «natürliche Einheit» der traditionellen Familie in den Vordergrund stellte und auf der Vorstellung unterschiedlicher gesellschaftlicher Rollen der Frauen und der Männer gründete. Die Initiative wurde auch als Alternative zur AHV präsentiert, für die die Linke und die Freisinnigen eintraten. Bereits 1931 hatten sich die katholisch-konservativen Kreise gegen das Projekt einer Altersversicherung eingesetzt, mit dem Argument des Erhalts der individuellen Verantwortung und der privaten Vorsorge.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts unterstützte die CVP die Einführung der Invalidenversicherung (1960) und der obligatorischen Arbeitslosenversicherung (1976). Die Partei befürwortete die Einführung der obligatorischen Krankenversicherung, obwohl sie ab den 1990er-Jahren die Entwicklung des Sozialstaates mit immer grösserer Skepsis betrachtete, da sie der Ansicht war, die demografische Entwicklung gefährde die Finanzierung der Sozialversicherungen. Eine Mehrheit der CVP unterstützte daher die Reformen, die seit den 1990er-Jahren auf den Leistungsabbau in bestimmten Bereichen ausgerichtet sind. Diese neue Ausrichtung hinderte jedoch die Parteimitglieder nicht daran, sich für den 2004 eingeführten Mutterschaftsurlaub und für die Harmonisierung der Familienzulagen einzusetzen.

Literatur / Bibliographie / Bibliografia / References: Altermatt Urs (1993), Schweizer Katholizismus in Umbruch, 1945-1990, Fribourg; Altermatt Urs (1994), Le catholicisme au défi de la modernité. L’histoire sociale des catholiques suisses aux XIXe et XXe siècles, Lausanne; Schorderet Pierre-Antoine (2007), Crise ou chrysanthèmes? Le Parti démocrate-chrétien et le catholicisme politique en Suisse (XIXe-XXIe siècles), Traverse. Revue d’histoire, 1, 82-94. HLS / DHS / DSS: Christlichsoziale Volkspartei (CVP); Katholisch-Konservative, Christlichsoziale Bewegung.

(12/2014)