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1877

Innovativer Arbeiterschutz: 11-Stundentag und Verbot der Kinderarbeit

1877 erlässt der junge Bundesstaat ein international innovatives Fabrikgesetz. Erstmals greift der Staat in die Vertragsfreiheit ein und erlässt Richtlinien zum Schutz der Arbeiterinnen und Arbeiter. Er begrenzt die Arbeitszeit und schützt besonders Kinder und Frauen.

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1877 nahm das Stimmvolk gegen den Widerstand vieler Industrieller knapp das Bundesgesetz betreffend die Arbeit in den Fabriken an, das sogenannte Fabrikgesetz. Damit griff der Bund direkt in die wirtschaftlichen Verhältnisse ein: Er beschränkte die Vertragsfreiheit und die Autonomie der Unternehmer. Im Bereich des regulativen Arbeiterschutzes gehörte die Schweiz nun international zu den Pionieren.

Bereits in den 1860er-Jahren hatten gemeinnützige Kreise und Ärzte mit Untersuchungen auf die misslichen Arbeitsbedingungen, die Gefährdung von Leben und Gesundheit in den Fabriken sowie auf die Verbreitung der Kinderarbeit aufmerksam gemacht. In der Folge dominierte der Schutz der Gesundheit und der Leistungsfähigkeit der Fabrikarbeiterinnen und Fabrikarbeiter die Debatte um die "soziale Frage". Die totalrevidierte Bundesverfassung von 1874 gab dem Bund schliesslich die Befugnis, Bestimmungen zur Arbeit von Kindern, zur Beschränkung der Arbeitszeit und zum Schutz der Arbeiterinnen und Arbeiter zu erlassen.

Das eidgenössische Fabrikgesetz, das die Verfassungsnorm umsetzte, schloss in vielen Punkten an die Gesetzgebung jener Kantone an, die die Industriearbeit bereits früher reguliert hatten. So hatte der Kanton Zürich schon 1815 die Arbeit von Kindern eingeschränkt. Wegweisend für die Entwicklung des Arbeiterschutzes war das Gesetz des Kantons Glarus von 1864, das erstmals auch die Beschäftigung von Erwachsenen regelte. Das Fabrikgesetz begrenzte den Normalarbeitstag auf elf Stunden pro Tag, verbot Nacht- und Sonntagsarbeit, die Beschäftigung von Kindern unter 14 Jahren und von Frauen einige Wochen vor und nach der Niederkunft. Es verpflichtete die Fabrikbetreiber, Vorschriften zum Schutz der Arbeitenden einzuhalten und machte sie bei Unfällen haftbar. Inspektoren sollten die Einhaltung des Gesetzes kontrollieren. Es galt allerdings nur für Fabriken, nicht aber für die vielen kleinen Gewerbebetriebe, geschweige denn für die Landwirtschaft. 1882 unterstanden erst 134.500 Personen oder etwa 10 Prozent der Berufstätigen der neuen Regelung.

Literatur / Bibliographie / Bibliografia / References: Siegenthaler Hansjörg (ed.) (1997), Wissenschaft und Wohlfahrt. Moderne Wissenschaft und ihre Träger in der Formation des schweizerischen Wohlfahrtsstaates während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Zürich; Gruner Erich (1968), Die Arbeiter in der Schweiz im 19. Jahrhundert, Bern; HLS / DHS / DSS: Fabrikgesetze.

(12/2014)