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1932-1937

Soziale Sicherheit in der Defensive

Die Weltwirtschaftskrise führt in der Schweiz in verschiedenen Bereichen zu sozialen Notlagen. Die politischen Kräfte sind sich jedoch uneinig über die angemessene Krisenbewältigung. Zunächst reagieren die Städte mit dem Ausbau der Fürsorge. Erst spät beginnt der Bund, die Arbeitslosigkeit aktiv zu bekämpfen.

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Die Weltwirtschaftskrise stellte den Staat vor eine grosse Herausforderung. Die Krise traf die Schweiz, die in der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre einen Aufschwung erlebt hatte, vergleichsweise spät. Dafür liess die Konjunkturerholung bis 1937 auf sich warten. Die Krise führte zu einem Rückgang des Volkseinkommens um fast 20 Prozent. Im Winter 1936 stieg die Arbeitslosigkeit auf sieben Prozent der Erwerbstätigen, in Industriegegenden sogar noch höher. Zusätzlich verschärft wurde die Lage der Bevölkerung durch die deflationistische Wirtschaftspolitik der bürgerlichen Parteien und Verbände. Sie hielten an der Goldparität des Schweizer Frankens fest, betrieben eine restriktive Haushalt- und Steuerpolitik, kürzten die Löhne und griffen nur selektiv in die Wirtschaft ein - beispielsweise zu Gunsten der Landwirtschaft. Die bürgerliche Seite bekämpfte eine aktive Ausgabenpolitik (deficit spending), wie es die 1935 an der Urne gescheiterte Kriseninitiative des Gewerkschaftsbunds verlangte.

Die Krise und die zögerliche Krisenpolitik zeitigten deutliche Folgen: Die Zahl der unterstützungsbedürftigen Personen stieg auf fast 20 Prozent der Bevölkerung. In Neuenburg und andern Städten verdoppelte sich der Fürsorgeetat zwischen 1929 und 1937. Betagte oder behinderte Personen, die über geringe Ressourcen verfügten, wurden besonders stark getroffen. Wie in der Kriegs- und Nachkriegszeit richteten die Städte Suppenküchen, Arbeiterstuben und Notunterkünfte ein. Nach wie vor war nicht einmal ein Drittel der erwerbstätigen Männer und ein Fünftel der erwerbstätigen Frauen gegen Arbeitslosigkeit versichert. Dementsprechend trieb die Krise die Ausgaben - und Mitgliederzahlen - der Arbeitslosenkassen in die Höhe. Der Bund nahm Ende 1931 die - 1924 eingestellte - Unterstützung für ausgesteuerte Stellensuchende wieder auf, überliess jedoch die Hauptlast der Arbeitslosenhilfe den Kantonen und Gemeinden. Erst unter dem Eindruck der Kriseninitiative der Linken beteiligte er sich an Arbeitsbeschaffungsmassnahmen, deren Wirkungen indes bis nach der Abwertung des Schweizer Frankens im September 1936 und dem allmählichen Wiederaufschwung auf sich warten liessen.

Literatur / Bibliographie / Bibliografia / References: Müller Margrit, Woitek Ulrich (2012), Wohlstand, Wachstum und Konjunktur, in P. Halbeisen, M. Müller, B. Veyrasset (ed.), Wirtschaftsgeschichte der Schweiz im 19. Jahrhundert, 91–222, Basel; Tabin Jean-Pierre et al. (2010 [2008]), Temps d’assistance. L’assistance publique en Suisse romande de la fin du XIXe siècle à nos jours, Lausanne; HLS / DHS / DSS: Weltwirtschaftskrise.

(12/2014)