Die meisten industrialisierten Länder versprechen ihren Bürgerinnen und Bürgern ein umfangreiches Angebot an «Sozialer Sicherheit». Jeder Staat hat jedoch eigene Vorstellungen über die Umsetzung eines solchen Vorhabens. Gerade in der Schweiz konnte sich die soziale Sicherheit bei verschiedenen Bevölkerungskreisen nur allmählich als positives Leitbild durchsetzen. Die Schweiz galt im internationalen Vergleich oft als «Nachzüglerin». Der Umfang sozialstaatlicher Leistungen lag lange hinter demjenigen anderer westeuropäischer Nationen zurück. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts fand ein deutlicher Ausbau statt.
Eintauchen in die Geschichte – ein Überblick
Die Sozialstaatsgeschichte der Schweiz ist vielfältig, von sozialpolitischen Konflikten gekennzeichnet und von unterschiedlichen Akteuren mitgeprägt. Das heutige System sozialer Sicherheit ist das Produkt einer langen Geschichte, deren Anfänge in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückreichen. Die Entwicklung der sozialen Sicherheit kann in vier Etappen nachgezeichnet werden. Eine erste Phase umfasst den Zeitraum von der Gründung des Bundesstaats 1848 bis zum Ersten Weltkrieg. Auf Bundesebene wurden erste Regelungen erlassen, insbesondere im Bereich des Arbeitsschutzes (Fabrikgesetz 1877). Zudem setzten bei Behörden und Parteien Planungen und Vorarbeiten für die Einführung von Sozialversicherungen ein. Mit dem Bundesgesetz über die Militärversicherung wurde 1901 das erste Sozialversicherungsgesetz der Schweiz erlassen.
In der Zeit zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg wurden grössere sozialpolitische Programme lanciert. Davon zeugen etwa die Unfallversicherung (1918) und die Erwerbsausfallversicherung für Militärangehörige (1940). In den 1920er Jahren wurde zudem die gesetzliche Grundlage für die Einführung der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) sowie der Invalidenversicherung (IV) geschaffen. Über Subventionen und Steuervergünstigungen förderte der Bund Krankenkassen, Pensionskassen und Arbeitslosenkassen, wobei die Reichweite dieser Versicherungen vorerst beschränkt blieb.
Die Nachkriegszeit bis in die 1990er Jahre markiert eine Phase des Leistungsausbaus im Bereich der sozialen Sicherheit. 1948 wurde die AHV gegründet. Der Bund errichtete später mit der Invalidenversicherung (1960) und der Arbeitslosenversicherung (1984) weitere Zweige der Sozialversicherung. Bei der Altersversicherung wurde 1985 das Obligatorium für die berufliche Vorsorge eingeführt und damit das Drei-Säulen-Prinzip verankert.
Die Phase seit Mitte der 1990er Jahre ist von vielfältigen Reformbemühungen gekennzeichnet, die auf der einen Seite eine Erweiterung des Sicherungssystems und auf der anderen Seite einen Abbau bei den Leistungen bewirkt haben. Mit der obligatorischen Krankenversicherung (1996) und der Mutterschaftsversicherung (2004) wurden wichtige Lücken der sozialen Sicherung geschlossen. In der Altersvorsorge, der Invaliden- und der Arbeitslosenversicherung kam es hingegen zu Einschränkungen und Leistungskürzungen.
Was ist das Konzept der Website?
Aus Anlass seines 100-jährigen Bestehens hat das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) 2013 die Geschichte der Sozialen Sicherheit aufarbeiten lassen. Mit rund hundertfünfzig Beiträgen vermittelt diese Webseite aus verschiedenen Blickwinkeln einen Zugang zur schweizerischen Sozialstaatsgeschichte. Ein Zeitstrahl verweist auf die wichtigsten Etappen und die Entwicklung des schweizerischen Sozialstaates seit dem 19. Jahrhundert (Synthese). Andere Beiträge gehen der Frage nach, wie der Sozialstaat mit Alter, Arbeitslosigkeit, Krankheit, Unfall oder Behinderung umgegangen ist. Auch Parteien und Verbände, Wissenschaftler und Politikerinnen werden porträtiert. Beleuchtet wird auch die institutionelle Dimension der Gesetze, Wohlfahrtseinrichtungen und öffentliche Verwaltungen. Die Website wird ergänzt durch statistische Angaben sowie einer ausführlichen Literaturliste.
Diese Plattform ist eine Koproduktion der Universitäten Basel und Zürich sowie der Haute école de travail social et de la santé Lausanne HETSL (HES-SO). Sie entstand im Auftrag des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) und wird regelmässig überarbeitet und erweitert.