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1949

Blockierter Ausbau der Krankenversicherung

Die Krankenversicherung kommt nach dem Zweiten Weltkrieg, anders als die AHV, nicht vom Fleck. Die bescheidene Vorlage für eine eidgenössische Tuberkuloseversicherung findet an der Urne keine Gnade. Weiterführende Anliegen, etwa ein nationales Obligatorium in der Krankenversicherung, sind damit auf absehbare Zeit vom Tisch.

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Am 22. Mai 1949 lehnte eine Mehrheit der Stimmenden eine Ergänzung des Tuberkulosegesetzes von 1928 ab. Die Vorlage von Bundesrat und Parlament sah in erster Linie die periodische Untersuchung der Bevölkerung auf der Basis der damals modernen Schirmbildtechnik vor. Sie erlaubte, im Massensuchverfahren rasch und zuverlässig infizierte, jedoch noch nicht erkrankte Personen - zeitgenössisch oft als "Streuer" bezeichnet - zu identifizieren. Der politische Widerstand aus bürgerlichen Kreisen, der zum Referendum führte und die Vorlage zu Fall brachte, richtete sich aber nicht nur gegen den Untersuchungszwang und die damit verbundenen Kosten, sondern auch gegen den Umstand, dass die Vorlage gering verdienende Bevölkerungsschichten obligatorisch gegen Krankheit versichert hätte.

Bisher hatten die Krankenversicherer - neben der eigentlichen Krankenversicherung - freiwillige Tuberkuloseversicherungen angeboten. Der Bund unterstützte diese mit Beiträgen. 1946 besassen drei Viertel der Krankenversicherten eine solche Zusatzversicherung. Das war weniger als die Hälfte der Gesamtbevölkerung. Die Vorlage ging von der Überlegung aus, dass Infizierte, die sich eine Kur nicht leisten konnten, eine Gefahr für die Gesundheit Dritter darstellten. Das vorgeschlagene Versicherungsobligatorium hätte also vor allem der Prophylaxe gedient.

Im Abstimmungskampf blieb die Frage strittig, ob der Bund mit dem ergänzten Tuberkulosegesetz gleichsam durch die Hintertür ein Krankenversicherungsobligatorium einführen solle. Die mit 75 Prozent Nein-Stimmen deutliche Ablehnung der Vorlage wurde von Bundesrat und Verwaltung als Votum gegen ein solches Obligatorium interpretiert.

Literatur / Bibliographie / Bibliografia / References: Lengwiler Martin (2009), Das verpasste Jahrzehnt. Krankenversicherung und Gesundheitspolitik (1938–1949), in M. Leimgruber, M. Lengwiler (ed.), Umbruch an der ‹inneren Front›. Krieg und Sozialpolitik in der Schweiz 1938–1948, 165–184, Zürich; Gredig Daniel (2002), Von der „Gehilfin“ des Arztes zur professionellen Sozialarbeiterin. Professionalisierung in der sozialen Arbeit und die Bedeutung der Sozialversicherungen am Beispiel der Tuberkulosenfürsorge Basel (1911–1961), in: H.-J. Gilomen, S. Guex, B. Studer (ed.), Von der Barmherzigkeit zur Sozialversicherung. Umbrüche und Kontinuitäten vom Spätmittelalter bis zum 20. Jahrhundert, 221–241, Zürich; Immergut Ellen M. (1992), Health Politics. Interests and Institutions in Western Europe, Cambridge; HLS / DHS / DSS: Tuberkulose.

(12/2014)