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1964

Krankenversicherung als Spielball der Verbandsinteressen

Mit dem Ausbau des Gesundheitswesens nehmen auch die Gesundheitskosten in den 1950er-und 60er-Jahren deutlich zu. Als Antwort darauf wird 1964 das Kranken- und Unfallversicherungsgesetz revidiert. Das Gesetz wird zum Spielball verschiedener Interessensgruppen. Die Reform bleibt punktuell - der grosse Wurf kommt nicht zustande.

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Reformen in der Krankenversicherung waren seit der Einführung des Kranken- und Unfallversicherungsgesetzes von 1911 (KUVG) langwierig und kompliziert. Nach dem Zweiten Weltkrieg stieg die Zahl der krankenversicherten Personen stetig an. Lag der Anteil der Versicherten 1945 bei 48 Prozent der Bevölkerung, nahm er - nicht zuletzt dank den kantonalen Versicherungsobligatorien - bis 1970 auf 89 Prozent zu. Die Ablehnung des Tuberkulosegesetzes von 1949 wurde von Bundesrat und Verwaltung als Veto gegen ein Versicherungsobligatorium gewertet. Die Mitte der 1950er-Jahre aufgenommenen und wiederholt verzögerten Arbeiten für eine Teilrevision des KUVG beschränkten sich deshalb auf punktuelle Reformen, die die Grundzüge des bald fünfzigjährigen Regelwerks nicht in Frage stellten.

Die Revision von 1964, die ohne Referendum zustande kam, erleichterte den Versicherungsbeitritt, erweiterte die Leistungen und erhöhte die Subventionen an die Krankenkassen. Auch wenn sie keine substantielle Reform beinhaltete, war der Revision dennoch ein jahrelanges Seilziehen zwischen den involvierten Parteien vorausgegangen. Angesichts des medizinischen Fortschritts und des expandierenden Gesundheitsmarkts geriet die Krankenversicherung immer mehr zum Spielball gut organisierter und referendumsmächtiger Interessensgruppen, insbesondere der Krankenkassen, der Ärzte und der chemischen Industrie, aber auch von neuen Gesundheitsberufen wie den Chiropraktikern. Bei der Revision von 1964 gelang es vor allem den Ärzten, für sie günstige Bedingungen auszuhandeln, etwa bezüglich der Honorarabstufung nach dem Einkommen der Patientinnen und Patienten und der Honorarabrechnung.

Literatur / Bibliographie / Bibliografia / References: Alber Jens, Bernardi-Schenkluhn Brigitte (1992), Westeuropäische Gesundheitssysteme im Vergleich: Bundesrepublik Deutschland, Schweiz, Frankreich, Italien, Grossbritannien, Frankfurt; Sommer Jürg (1978), Das Ringen um die soziale Sicherheit in der Schweiz. Eine politisch-ökonomische Analyse der Ursprünge, Entwicklungen und Perspektiven sozialer Sicherung im Widerstreit zwischen Gruppeninteressen und volkswirtschaftlicher Tragbarkeit, Diessenhofen; HLS / DHS / DSS: Krankenversicherung.

(12/2014)