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2004

Ein altes Postulat wird teilweise verwirklicht

Seit den 1920er-Jahren wird über eine Mutterschaftsversicherung diskutiert; seit 1945 besteht ein Verfassungsauftrag. Mehrere Anläufe scheitern jedoch an der Finanzierungsfrage. Erst 2004 gelingt der Durchbruch. Die Mutterschaftsentschädigung wird neu im Rahmen der militärischen Erwerbsersatzordnung finanziert.

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Mit der Volksabstimmung vom 26. September 2004 kam keine Mutterschaftsversicherung zustande, die Leistungen für alle Mütter vorsieht, sondern eine Lösung, die auf einen Erwerbsersatz beschränkt ist. Bereits in den 1920er-Jahren hatte die Mutterschaftsversicherung zur Debatte gestanden. Die Verfassungsgrundlage war 1945 geschaffen worden. Seither waren mehrere Anläufe zur Realisierung auf Gesetzesstufe - sei es im Rahmen der Krankenversicherung (1987) oder auf dem Weg der Volksinitiative (1984) - gescheitert. Der Frauenstreik von 1991, der die Umsetzung des Gleichstellungsartikels forderte, lenkte die Aufmerksamkeit erneut auf die Mutterschaftsversicherung. Mit der Wahl der Sozialdemokratin Ruth Dreifuss in den Bundesrat erhielt das Projekt eine Verfechterin an höchster Stelle.

Ein Vorstoss für eine Lösung, die über Mehrwertsteuerprozente finanziert worden wäre, kam 1999 durch ein Referendum zu Fall. Die Vorlage sah eine Mutterschaftsentschädigung über 14 Wochen für erwerbstätige Mütter und eine einmalige Grundleistung vor, die allen erwerbs- und nichterwerbstätigen Müttern zugestanden wäre. Rechtsbürgerliche Parteien und Wirtschaftsverbände, die die Finanzierbarkeit in Frage stellten, ergriffen das Referendum. Bei der Abstimmung spielten Gegensätze zwischen (zustimmender) Romandie und (ablehnender) Deutschschweiz, zwischen Stadt und Land und zwischen den Generationen eine wichtige Rolle. Die Reaktionen auf die Abstimmung zeigten allerdings, dass das Anliegen inzwischen breit abgestützt war. Der Kanton Genf führte 2001 sogar eine kantonale Mutterschaftsversicherung ein.

Vertreterinnen und Vertreter aller Bundesratsparteien setzten sich deshalb für einen Kompromiss auf Bundesebene ein, der sich trotz einem erneuten Referendum von Seiten der Schweizerischen Volkspartei (SVP) im September 2004 als mehrheitsfähig erwies. Viele Stimmberechtigte, die die Vorlage von 1999 noch abgelehnt hatten, stimmten nun zu. Die Mutterschaftsentschädigung wurde als Teil der Erwerbsersatzordnung (EO) eingerichtet, für die erwerbstätige Frauen seit 1940 Beiträge entrichtet hatten. Wie die EO wurde sie ausschliesslich über Lohnabzüge finanziert. Sie garantierte während 14 Wochen 80 Prozent des letzten Einkommens. Im Gegensatz zu früheren Vorlagen konnten jedoch nur Frauen Leistungen beziehen, die vor der Geburt erwerbstätig waren.

Literatur / Bibliographie / Bibliografia / References: Année politique Suisse / Schweizerische Politik, 1990–1994; Studer Brigitte (1997), Familienzulagen statt Mutterschaftsversicherung? Die Zuschreibung der Geschlechterkompetenzen im sich formierenden Schweizer Sozialstaat, 1920–1945, Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, 47, 151–170; Hauser, Karin (2004), Die Anfänge der Mutterschaftsversicherung. Deutschland und Schweiz im Vergleich, Zürich; Studer Brigitte, Sutter Gaby (2001), Die ‚schutzbedürftige Frau‘. Zur Konstruktion von Geschlecht durch Mutterschaftsversicherung, Nachtarbeitsverbot und Sonderschutzgesetzgebung, Zürich; HLS / DHS / DSS: Mutterschaft.  

(01/2020)