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Mitte der 1960er-Jahre lebten in der Schweiz schätzungsweise 200.000 AHV- und IV-Rentnerinnen und Rentner unter dem Existenzminimum. Sie besassen keine berufliche Vorsorge und kein eigenes Vermögen und waren von der Fürsorge oder von Familienangehörigen abhängig. Das Ziel der am 19. März 1965 vom Parlament beschlossenen Einführung von Ergänzungsleistungen (EL) war, ihnen ein regelmässiges Mindesteinkommen zu sichern. Rentenzuschüsse sollten die Differenz zwischen einer festgelegten Einkommensuntergrenze (zum Beispiel für Alleinstehende: 3000 Franken im Jahr) und dem effektiven (Renten-)Einkommen ausgleichen. Im Gegensatz zur Fürsorge bestand für Ergänzungsleistungen von Beginn an ein Rechtsanspruch. Allerdings blieb es den Kantonen überlassen, ob sie das System der Ergänzungsleistungen einführen und zur teilweisen Deckung ihrer Ausgaben Subventionen des Bundes in Anspruch nehmen wollten. Finanziert wurden die EL nicht über Lohnprozehnte, sondern ausschliesslich über Beiträge von Bund und Kantonen.
Die EL waren ein Anhängsel der 6. AHV-Reform (1964), die eine - grösstenteils teuerungsbedingte - Rentenerhöhung von 30 Prozent gebracht hatte. Im Vorfeld waren Forderungen nach existenzsichernden Renten im Raum gestanden, denen 1962 zwei Volksinitiativen der Zeitschrift "Beobachter" und linker Kreise Nachdruck verliehen. Unterstützt durch Arbeitgeber- und Versicherungsvertreter, hielten Bundesrat und Parlament schliesslich dafür, dass die AHV den "Charakter einer Basisversicherung" behalten und eine Erweiterung des Sozialwerks die berufliche und private Vorsorge nicht beeinträchtigen solle. Im Grundzug nahmen sie damit die spätere Drei-Säulen-Doktrin vorweg. Als Ausgleich für das Tiefhalten der AHV-Renten (und Beiträge) habe aber, so der Bundesrat, neben die Volksversicherung "ein System von besonders ausgestalteten Bedarfsleistungen zu treten, die dem sozial schwächsten Teil der Bevölkerung eine minimale Existenz garantieren". Zunächst als Übergangslösung gedacht, entwickelten sich die EL über die Jahrzehnte hinweg zu einem ständigen Leistungsbereich. Immer wichtiger geworden ist vor allem ihre Funktion, die steigenden Kosten für die Pflege im Alter zu decken.
Literatur / Bibliographie / Bibliografia / References: Leimgruber Matthieu (2008), Solidarity without the state? Business and the shaping of the Swiss welfare state, 1890–2000, Cambridge; HLS / DHS / DSS: Alters- und Hinterlassenenversicherung AHV.
(12/2015)