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Pensionskassen

Anfangs waren die Pensionskassen einer kleinen Elite vorbehalten. Im Laufe des 20. Jahrhunderts werden sie laufend ausgebaut und gelten als «2. Säule» des Schweizer Altersvorsorgesystems. Noch sind aber immer nicht alle Arbeitnehmenden in einer Pensionskasse versichert.

Die ersten Pensionskassen wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegründet. Sie versicherten zunächst Polizisten, Lehrer und Beamte und trugen zur Strukturierung des öffentlichen Dienstes bei. Zwischen 1888 und 1914 gründeten die meisten Verwaltungen der Gemeinden, grösseren Städte und mehrerer Kantone Pensionskassen für ihre Angestellten. Die grösste Pensionskasse versicherte damals die Arbeiter und Angestellten der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB). Die Bundesangestellten mussten hingegen bis zum Ende des Ersten Weltkriegs warten, bis sie in den Genuss einer Altersvorsorge kamen. Mit Ausnahme einiger Pionierunternehmen, namentlich der Transportunternehmen (die dem Beispiel der SBB folgten), Banken und Versicherungen (die sich die Treue ihrer Angestellten sichern wollten) oder auch der grossen Unternehmen der Maschinenindustrie gab es in der Privatwirtschaft vor 1914 nur sehr wenige Pensionskassen.

Die Entwicklung der Altersvorsoge wurde während des Ersten Weltkriegs beschleunigt. Im Rahmen der Kriegsgewinnsteuer gewährte der Bund den Unternehmen Steuerbefreiungen auf Einzahlungen in eigene «Wohlfahrtseinrichtungen». Aufgrund dieser Massnahme wurden von den grossen Firmen hunderte Pensionskassen gegründet. Neben steuerlichen Anreizen gründeten die Unternehmen auch Pensionskassen, um ihr Personal an sich zu binden und soziale Spannungen zu vermindern, welche 1918 im Generalstreik gipfelten. Die Reserven der Kassen wurden auch zur Selbstfinanzierung verwendet. Seit den 1920er-Jahren war die berufliche Vorsorge auch ein Markt für die Versicherungsgesellschaften im Lebensversicherungsgeschäft, die die Pensionskassen grosser Unternehmen in Gruppenversicherungen führten.

Während des ganzen 20. Jahrhunderts und bis zur Einführung des Bundesgesetzes über die Berufliche Vorsorge (BVG) 1985 gab es unzählige Arten von Pensionskassen. Die sogenannten autonomen Kassen versicherten die Arbeitnehmenden eines einzelnen Arbeitgebers (Privatunternehmen, Kanton oder Gemeinde), während die Lebensversicherer die Belegschaft mehrerer Arbeitgeber abdeckten (insbesondere in der Privatwirtschaft). Weiter gibt es auch berufsgebundene (Ärzte, Handwerker usw.) oder gewerkschaftsgebundene Kassen sowie Kassen für Arbeitgeber eines bestimmten Wirtschaftssektors. Von diesen Vorsorgeinstitutionen waren nur die wenigsten eigentliche Versicherungseinrichtungen, das heisst Institutionen, die Beiträge erhoben und Leistungen nach einem klaren Reglement und versicherungsmathematischen Prinzipien ausrichteten. Neben diesem eher begrenzten Kreis gab es eine Vielzahl von «Wohlfahrtsfonds» und anderen Fürsorgeeinrichtungen, deren Finanzierung vollumfänglich von den Arbeitgebern sichergestellt wurde.

Diese Vielfalt erklärt die ausufernde Zahl von neuen Pensionskassen im Lauf des 20. Jahrhunderts: 100 Kassen im Jahr 1903, über 4000 im Jahr 1941, und sogar über 17.000 im Jahr 1978. Mit Inkrafttreten des BVG blieben nur die Institutionen mit Versicherungscharakter bestehen und die Zahl der Kassen ging zwischen 1987 und 2011 von 15.000 auf 2191 zurück. Unter dieser Fülle verbirgt sich der eigentliche harte Kern der Vorsorge, der seit den 1920er-Jahren rund 200 selbständige Kassen von grossen Unternehmen, rund zwanzig öffentliche Kassen (auf eidgenössischer und kantonaler Ebene sowie bei den grossen Gemeinden), und schliesslich ein halbes Dutzend Lebensversicherungsgesellschaften umfasst, die auf dem Markt der Gruppenversicherungen tätig sind. (Zahlen)

Seit der Zwischenkriegszeit umfasste der Schweizerische Verband für privatwirtschaftliche Personalfürsorge die wichtigsten privatwirtschaftlichen Kassen sowie die grossen Lebensversicherungsgesellschaften. Diese Lobby vertrat die Interessen der privaten Vorsorge im Rahmen der ersten Debatten über die Einführung einer eidgenössischen Altersversicherung (AHV), trat für den Beibehalt der Steuervorteile und für eine minimale Regulierung der Vorsorgeeinrichtungen ein. Lange vor dem Aufkommen der sogenannten 3-Säulen-Doktrin in den 1960er-Jahren war diese Lobby der privaten Vorsorge ein Schwergewicht in allen Rentendebatten. Der heutige Schweizerische Pensionskassenverband Asip, gegründet 1997, steht in direkter Nachfolge zu diesem ersten Verband.

Die Pensionskassen spielten während des ganzen 20. Jahrhunderts viele verschiedene Rollen. Sie bildeten ein Schlüsselelement der Personalführung, förderten sie doch die Stabilität und die Treue der Beschäftigten. Im öffentlichen Dienst führte die frühe allgemeine Einführung der Pensionskassen zu einer grossen Loyalität der Beamten und diente als Barriere gegenüber Korruptionsversuchungen. Neben der oben erwähnten Rolle bei den Steuern trugen die Reserven der Kassen auch zur Selbstfinanzierung der Firmen bei. Im Gegensatz zur AHV, die nach dem Umlageverfahren finanziert wird, arbeiten die Pensionskassen nach dem Kapitalisierungssystem: Ihre Finanzierung wird durch die Bildung von Reserven sichergestellt, die dann am Kapitalmarkt angelegt werden und Zinserträge generieren. Die so angehäuften Vermögen erreichten sehr rasch beträchtliche Beträge. Sie machten 1941 bereits ein Drittel des Bruttoinlandprodukts aus, und das Vermögen der Einrichtungen, die man von nun an die 2. Säule nannte, stieg nach der Einführung des BVG 1985 rasch an: 2012 betrug es rund 750 Milliarden Franken, das heisst 130 Prozent des Bruttoinlandprodukts. (Zahlen) Die Pensionskassen gehören somit zu den grössten institutionellen Investoren des Landes. Die Verwaltung ihrer Vermögen ist auch eine Einnahmequelle für die Banken und die Vermögensberatung.

Während rund einem Jahrhundert standen die Pensionskassen unter einer minimalen Staatsregulierung und ihre Mechanismen standen selten im Zentrum des Interesses. Vor dem Inkrafttreten des BVG gab es kein Aufsichtsgesetz über die Kassen, und auch das BVG beschränkt sich auf den Erlass einer Reihe von Rahmenbedingungen, um das Funktionieren des Systems sicherzustellen. Zu Beginn des 21. Jahrhundert hat sich die Situation jedoch verändert. Die berufliche Vorsorge ist nun Gegenstand grösserer Aufmerksamkeit und provoziert leidenschaftliche politische Debatten, wie die Abstimmung über die Senkung des BVG-Umwandlungssatzes 2010 gezeigt hat.

Wie auch bei der staatlichen Altersvorsorge steht die Frage der langfristigen Finanzierbarkeit der beruflichen Vorsorge im Zentrum der jüngeren Debatten. Im März 2023 verabschiedete das Parlament die Reform der beruflichen Vorsorge (BVG-Reform), um die Finanzierung der 2. Säule durch eine Senkung des Mindestumwandlungssatzes zu stärken und um die Rentensituation von Teilzeit- und Mehrfachangestellte zu verbessern. Dagegen ergriffen die linken Parteien und Gewerkschaften erfolgreich das Referendum.

> Die Altervorsorge in Zahlen

Literatur / Bibliographie / Bibliografia / References: Leimgruber Matthieu (2008), Solidarity without the state? Business and the shaping of the Swiss welfare state, 1890–2000, Cambridge; Pittet Meinrad, Chuard Claude (2013), La prévoyance professionnelle depuis ses origines, Genève; Lengwiler Martin (2003), Das Drei-Säulen-Konzept und seine Grenzen: private und berufliche Altersvorsorge in der Schweiz im 20. Jahrhundert, Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, 48, 29–47. HLS / DHS / DSS: Pensionskassen.

(07/2024)