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1952

Die Internationalisierung des Sozialrechts

1952 verabschiedet die Internationale Arbeitskonferenz ein Abkommen über Mindestnormen der Sozialen Sicherheit. Die Konvention gilt als Meilenstein im internationalen Sozialrecht. Die Schweiz ratifiziert das Abkommen jedoch erst 1977.

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1952 stimmten die Schweizer Delegierten an der 35. Internationalen Arbeitskonferenz in Genf dem Übereinkommen 102 über die Mindestnormen der Sozialen Sicherheit zu. Die Internationale Arbeitskonferenz war das Hauptorgan der 1919 gegründeten Internationalen Arbeitsorganisation (IAO). Nach der Auflösung des Völkerbundes wurde die IAO 1945 zu einer Spezialorganisation der Vereinten Nationen (UNO). Beibehalten wurde die drittelsparitätische Besetzung der nationalen Delegationen (Regierungs-, Arbeitnehmer-, und Arbeitgebervertreter) für die regelmässig stattfindenden Konferenzen. Obwohl sie der UNO nicht beitrat, blieb die Schweiz 1945 Mitglied der IAO.

Die IAO war vom Gedanken getragen, dass die Zusammenarbeit von Arbeitgebern, Gewerkschaften und Staat eine wichtige Voraussetzung für eine dauerhafte Friedensordnung sei. Sie setzte sich deshalb für eine Harmonisierung der Sozialpolitik der Mitgliedstaaten ein. 1948 begannen die Arbeiten für die Festlegung von Mindeststandards der Sozialen Sicherheit. Das Übereinkommen 102 wurde im Juni 1952 verabschiedet. Es sah Normen für neun Bereiche vor (zum Beispiel medizinische Versorgung, Alter, Invalidität, Mutterschutz), deren Einhaltung anhand statistischer Kriterien geprüft wurde (etwa bezüglich der Zahl der Leistungsberechtigten und der Höhe der Leistungen).

Die Delegierten des Bundes stimmten dem Abkommen usanzgemäss zu. Die Ratifizierung erwies sich für die Schweiz allerdings als problematisch. Wie der Bundesrat festhielt, erfüllte sie die Auflagen lediglich im Bereich der Unfallversicherung. Insbesondere fehlte eine Invalidenversicherung, und die AHV-Renten waren zu tief angesetzt. Daraus dürfe, so der Bundesrat, indes nicht geschlossen werden, der "soziale Schutz" in der Schweiz sei ungenügend. Vielmehr gehe das "neue internationale Instrument" an den "spezifisch schweizerischen Verhältnissen" vorbei. Erst 1977 ratifizierte die Schweiz schliesslich die ersten Teile des Übereinkommens 102, allerdings mit Ausnahme des Teils zum Krankentaggeld, das das schweizerische Sozialversicherungsrecht bis heute nicht kennt. Das heisst, nachdem die IV geschaffen (1960) und die Altersvorsorge auf eine neue Grundlage gestellt (1972) worden waren und sich Familienzulagen auf kantonaler Ebene durchgesetzt hatten.

Literatur / Bibliographie / Bibliografia / References: Kott Sandrine, Droux Joëlle (2013), Globalizing social rights. The International Labour Organization and beyond, Basingstoke; Kneubühler Helen Ursula (1982), Die Schweiz als Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation, Bern; HLS / DHS / DSS: Internationale Arbeitsorganisation ILO.

(12/2014)