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Arbeitgeberverbände

Die Arbeitgeberverbände vertreten unterschiedliche, auch gegensätzliche sozialpolitische Interessen. Häufig bekämpfen sie Vorschläge zum Ausbau des Sozialstaates, insbesondere wenn es sich um Massnahmen handelt, die zu neuen Lohnbeiträgen führen. Dennoch unterstützen sie zuweilen eine gewisse Entwicklung der Sozialen Sicherheit. Arbeitgeber ergreifen auch entsprechende Initiativen.

Die wichtigsten Arbeitgeberverbände wurden Ende des 19. Jahrhunderts vor dem Hintergrund einer moderaten Kompetenzerweiterung des Bundesstaates, der wachsenden internationalen Konkurrenz und dem Aufkommen der Arbeiterbewegung gegründet. Der älteste Arbeitgeberverband, der Schweizerische Handels- und Industrieverein (SHIV), genannt Vorort, wurde 1870 gegründet und fusionierte 2000 mit der 1942 gegründeten Gesellschaft zur Förderung der schweizerischen Wirtschaft zur Economiesuisse. Der zweite schweizerische Arbeitgeberdachverband entstand 1908 unter dem Namen Zentralverband schweizerischer Arbeitgeberverbände und wurde 1995 zum Schweizerischen Arbeitgeberverband (SAV). Die Unternehmen sind darin nach Branchen und nach regionalen Verbänden organisiert. Der SHIV und der SAV vertreten vor allem die Interessen der Exportindustrien und der grossen Dienstleistungsunternehmen (Banken, Versicherungen). Der SHIV befasst sich vor allem mit allgemeinen Wirtschaftsfragen (Wirtschafts- und Geldpolitik, Zollpolitik) und überlässt dem SAV sozial- und arbeitsmarktpolitische Fragen. Die kleinen und mittleren Unternehmen, die vor allem für den Binnenmarkt produzieren, werden durch den 1879 gegründeten Schweizerischen Gewerbeverband (SGV) vertreten.

Trotz einer gewissen Konkurrenz und bisweilen unterschiedlicher Interessen, beispielsweise zwischen Export- und Binnenindustrie, arbeiten die Dachorganisationen der schweizerischen Arbeitgeber eng zusammen. Dadurch wird ein gewisser Zusammenhalt der Arbeitgeber gegenüber den Arbeitnehmerorganisationen und dem Staat angestrebt, was ihnen erlaubt, in wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen als gewichtige Akteurin aufzutreten. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts, und noch systematischer nach dem Zweiten Weltkrieg, beteiligen sich die Arbeitgebervertreter im Rahmen von ausserparlamentarischen Expertenkommissionen direkt an der Ausarbeitung von Bundesgesetzen.

Die Arbeitgeberorganisationen zeigten sich gegenüber ersten sozialstaatlichen Tendenzen allgemein zurückhaltend, wenn nicht gar ablehnend. Sie verteidigten zum einen den Wirtschaftsliberalismus, der staatliche Eingriffe so weit als möglich begrenzen wollte. Zum anderen sollten auch die Sozialabgaben nicht erhöht werden, insbesondere die Lohnbeiträge zulasten der Arbeitgeber. Schliesslich sollte auch verhindert werden, dass der Staat mit Bereichen der Privatwirtschaft konkurrierte, die in der beruflichen Vorsorge und im Gesundheitsbereich tätig waren. Die Arbeitgeberdachverbände zeigten somit lange Zeit Zurückhaltung gegenüber einer staatlichen Altersversicherung und trugen dazu bei, dass die Annahme einer obligatorischen Krankenversicherung bis in die 1990er-Jahre und eine Mutterschaftsversicherung bis 2004 hinausgeschoben wurde.

An der Entwicklung einzelner Sozialversicherungen hatten die Arbeitgeber jedoch durchaus ein Interesse. Die Arbeitgeberverbände unterstützten beispielsweise das Gesetz über die Arbeitslosenversicherung von 1924. Denn die Bestimmungen über den Zugang zu den Leistungen ermöglichten, die Arbeitsdisziplin zu verbessern und den Arbeitsmarkt zu regulieren, so dass die Arbeitgeber ihre Arbeitskräfte bei sinkender Produktion nicht entlassen mussten. Einzelne Arbeitgeber, insbesondere in der Textil- und Bekleidungsindustrie gründeten eigene Arbeitslosenkassen, um die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an sich zu binden und die Entwicklung von Gewerkschaftskassen zu verhindern.

In den 1930er-Jahren gründeten die Arbeitgeberverbände auch Familienausgleichskassen, insbesondere in der Bau- und Metallindustrie. Die Arbeitgeber bezweckten damit eine Stärkung ihres kollektiven Handelns und eine flexiblere Lohnpolitik: Tatsächlich waren die Familienzulagen ein Mittel, um gezielte Lohnerhöhungen zu gewähren (vor allem für Väter), die vergleichsweise einfach auch wieder aufgehoben werden konnten. Diese Kassen spielten bei der Einführung der Erwerbsersatzordnung (EO) während des Zweiten Weltkriegs (1939/1940) eine wichtige Rolle und dienten als Modell für die Einführung der Alters- und Hinterlassenenversicherung 1947. Ein Teil der Arbeitgeberdachverbände hätte es jedoch vorgezogen, dass die Strukturen und Finanzmittel der EO der Arbeitslosenversicherung zur Verfügung gestellt worden wären, wodurch sie einen Zweig der sozialen Sicherheit hätten kontrollieren können, der weitgehend in den Händen der Gewerkschaften war.

Arbeitgeberinteressen und -initiativen im Bereich der Sozialen Sicherheit wurden auch verbandsintern häufig kontrovers diskutiert. So verlangten beispielsweise innerhalb des SAV das Baugewerbe eine Verbesserung der Arbeitslosenentschädigung bei Schlechtwetter, während die Mehrheit der übrigen Branchen bis in die 1980er-Jahre strikte dagegen waren. Ebenso waren Arbeitgeber, die – wie die Textilindustrie – in ihren Unternehmen mehrheitlich Frauen beschäftigten, im Gegensatz zum Dachverband für die Besserstellung der Teilzeitbeschäftigten durch die Arbeitslosenversicherung. Geteilt waren die Meinungen auch über Nutzen und Relevanz von Arbeitgeber-Ausgleichskassen.

Seit der Krise Mitte der 1970er-Jahre, aber vor allem seit den 1990er-Jahren, plädieren die Arbeitgeber für eine Beschränkung der Sozialleistungen. Die Arbeitgeberkreise lancierten seither immer wieder Appelle für die Liberalisierung der Schweizer Wirtschaft und beklagten die hohen Sozialversicherungskosten. Sie unterstützten verschiedene Reformen, die seit den 1990er-Jahren (1990–2000) vor allem auf die Kürzung der Ausgaben im Bereich der Sozialen Sicherheit zielen.

Literatur / Bibliographie / Bibliografia / References: Mach André (2002), Associations d’intérêts, In U. Klöti, P. Knoepfel, H. Kriesi, W. Linder & Y. Papadopoulos (Eds.), Handbuch der Schweizer Politik (pp. 299-336). Zürich ; Mach André (1999), Globalisation, néo-libéralisme et politiques publiques dans la Suisse des années 1990, Zürich; Humair Cédrid et al. (2012), Les organisations patronales suisses entre coordination économique et influence politique, Vingtième Siècle. Revue d'histoire, 115, 115-127. HLS / DHS /HSS: Schweizerischer Arbeitgeberverband (SAV); Schweizerischer Handels- und Industrieverein (SHIV); Schweizerischer Gewerbeverband (SGV); Unternehmerverbände, Arbeiterwohlfahrt.

(12/2014)