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Die Verwaltung der Alters- und Hinterlassenen-versicherung (AHV)

Organisatorisch ist die AHV ein komplexes Gebilde. Sie ist eine nationale Institution, wird aber dezentral, von kantonalen und branchenspezifischen Ausgleichskassen, verwaltet. Finanziert ist sie aus ganz unterschiedlichen Quellen: Lohnabzügen, aber auch Bundesbeiträgen aus den Einnahmen der Mehrwertsteuer und der Alkohol-, Tabak- und Spielbankenabgaben. Der Aufbau der AHV wirft Fragen auf, die sich nur mit Blick auf die Entstehungsgeschichte dieser Einrichtung beantworten lassen.

Die AHV ging 1948 aus der im Zweiten Weltkrieg errichteten Lohn- und Verdienstersatzordnung (LVEO) hervor. Die LVEO prägte die AHV nicht nur politisch, sondern auch organisatorisch. Die staatliche Altersversicherung übernahm insbesondere das Umlageverfahren und das Ausgleichssystem der LVEO zur Abwicklung der Beitrags- und Rentenzahlungen. Die Grundzüge dieses Systems sind bis heute unverändert erhalten geblieben.

Organisation: Ausgleichskassen, Ausgleichsfonds, Versichertennummer

Das AHV-Gesetz von 1946 sah einen Ausgleich der Einnahmen (Beiträge) und Ausgaben (Renten) über sogenannte Ausgleichskassen vor. Dabei sollte der Ausgleich auf drei Ebenen funktionieren: a) auf der Ebene der einzelnen Betriebe, b) der kantonal und branchenmässig organisierten Ausgleichskassen und c) auf nationaler Ebene mit der Zentralen Ausgleichstelle (ZAS). Bei der Organisation der rund 100 Ausgleichskassen spielten die Arbeitgeberorganisationen eine wichtige Rolle. Bereits im Rahmen der LVEO waren sie für die Führung von Ausgleichskassen zuständig gewesen. Diese Übertragung von Verwaltungsaufgaben an private Verbände wurde auch bei der AHV beibehalten. Bei der ZAS handelte es sich dagegen um eine - bis heute bestehende - Bundesinstitution, die in Genf angesiedelt ist und ebenfalls aus einer Vorläuferorganisation der LVEO hervorging.

Innerhalb dieses Systems rechnet jede Ausgleichsinstanz die Saldi, die sich aufgrund ihrer eigenen Ein- und Ausgaben ergeben, mit der nächsthöheren Einrichtung ab. So lassen sich Differenzen ausgleichen, die sich aus der je nach Betrieb, Branche und Region unterschiedlichen Altersstruktur der Versicherten und Rentenbezüger ergeben. Die ZAS sorgt für den landesweiten Ausgleich unter den Ausgleichskassen und für die Verrechnung mit dem AHV-Ausgleichsfonds. Dieser bildet die eigentliche Kapitalreserve der AHV. Der Ausgleichsfonds, an den auch die Beiträge der öffentlichen Hand an die AHV fliessen, wird von einem Verwaltungsrat geführt, der vom Bundesrat gewählt wird. Nicht durchgesetzt hat sich die anfänglich vorgesehene Auszahlung der AHV-Renten durch die Betriebe. Diese Aufgabe wird heute von den Ausgleichskassen übernommen.

Die ZAS führt ebenfalls ein zentrales Versichertenregister, während die individuellen Beitragskonti, über die jede beitragszahlende Person verfügt, dezentral von den Ausgleichskassen verwaltet wurden. Zur Identifikation der Versicherten und zur Feststellung der Leistungsansprüche wurde 1948 eine lochkarten- und später EDV-lesbare Versichertennummer eingeführt. Die Nummer setzte sich aus Angaben zum Geburtsdatum, Geschlecht, Nationalität und Anfangsbuchstaben des Namens - alles in Ziffernform - zusammen. 2007 wurde aus Datenschutzgründen diese "sprechende" Nummer durch eine anonyme 13stellige AHV-Versichertennummer ersetzt, die auch in andern Sozialversicherungszweigen und Verwaltungsbereichen Verwendung finden soll.

Trotz des dezentralen Ausgleichssystems und der Bedeutung der umgesetzten Beträge hat sich die AHV-Verwaltung als vergleichsweise schlank erwiesen. 2002 beliefen sich die reinen Verwaltungskosten in der AHV (1. Säule) auf knapp 800 Millionen Franken oder 134 Franken pro versicherte Person. Demgegenüber betrugen die Verwaltungskosten in der beruflichen Vorsorge (2. Säule) 499 Franken pro versicherte Person. Aufgrund der unterschiedlichen Strukturen und Rahmenbedingungen der beiden "Säulen" lassen sich diese Beträge allerdings nur bedingt miteinander vergleichen.

Finanzierung: Umlageverfahren, Lohnprozente, Bundesbeiträge

Die AHV wird seit ihrer Gründung im sogenannten Umlageverfahren finanziert. Dabei werden die eingenommenen Beiträge direkt zur Finanzierung der laufenden Leistungen verwendet. Beitragszahler und Leistungsbezüger sind somit nicht identisch: Ein Teil des Volkseinkommens wird laufend von den Erwerbstätigen zu den Rentnerinnen und Rentnern verschoben. Im Gegensatz zum Kapitaldeckungsverfahren, bei dem die Erwerbstätigen mit Beiträgen ihre Altersrente schrittweise ansparen, findet dabei nur eine beschränkte Kapitalbildung statt. Das Gesetz sieht vor, dass der AHV-Ausgleichsfonds lediglich eine Jahresausgabe des Sozialwerks zu decken hat.

Die AHV ist durch ihr Finanzierungs- und Rentenmodell seit Beginn eine solidarische Sozialversicherung. Das Beitrags- und Rentensystem ist mit einer gewissen sozialen Umverteilung verbunden. Der Umverteilungseffekt beruht vor allem darauf, dass die Beiträge (Lohnabzüge) auf dem gesamten Einkommen bezahlt werden müssen, die Höhe der Renten gegen oben jedoch beschränkt ist. Wer ein sehr hohes Gehalt bezieht, bezahlt zwar hohe AHV-Beiträge, erhält aber im Rentenalter nicht mehr als die Maximalrente, die nur doppelt so hoch sein darf als die AHV-Mindestrente. Konkret heisst das: Übers ganze Leben hinweg beziehen geringverdienende Frauen und Männer im Verhältnis zu den geleisteten Beiträgen höhere Renten als Personen mit hohen Einkommen. Dieser Umverteilungseffekt wird allerdings durch das so genannte Drei-Säulen-System wieder wettgemacht, das die ungleiche Einkommensverteilung insgesamt kaum antastet.

Die AHV wird seit 1948 durch Lohnabzüge der Versicherten und Beiträge der öffentlichen Hand, insbesondere durch die Einnahmen aus der Alkohol- und Tabaksteuer finanziert. Seit 1999 wird zudem ein Mehrwertsteuerprozent zu Gunsten der AHV erhoben. Ebenfalls zu Gunsten der AHV gehen seit 2000 die Erträge aus der Spielbankenabgabe. 2011 verteilten sich die Einnahmen wie folgt: Beiträge der Versicherten: 74 Prozent, Beiträge des Bundes: 19 Prozent, Mehrwertsteuer: sechs Prozent, Spielbankenabgabe: ein Prozent.

Ursprünglich betrugen die Lohnabzüge der Versicherten 4 Prozent des Lohnes, wobei sie bereits 1948 hälftig den Arbeitnehmern und -gebern belastet wurden. Mit dem Ausbau der AHV wurden die Beitragssätze zwischen 1969 und 1975 auf 8.4 Prozent (Selbständige: 7.8 Prozent) erhöht. Seither sind sie unverändert. Die ursprüngliche Regelung sah für Bund und Kantone fixe Beiträge vor: 160 Millionen Franken pro Jahr, wovon zwei Drittel zu Lasten der Bundeskasse gehen sollten. Herangezogen werden sollten insbesondere die Bundeseinnahmen aus den Abgaben auf Alkohol und Tabak. Die 6. AHV-Revision (1963) setzte die Beiträge der öffentlichen Hand auf mindestens 20 Prozent der Ausgaben der AHV fest. Als Reaktion auf den konjunkturellen Einbruch reduzierte das Parlament 1975 die Bundesbeiträge jedoch deutlich. Bis Mitte der 1980er Jahre wurden sie erneut schrittweise angehoben. Mit dem neuen Finanzausgleich (2008) wurden die Kantone schliesslich von der finanziellen Verantwortung für die AHV entbunden. Der Beitrag des Bundes deckt seither 19.55 Prozent der Ausgaben der AHV.

Bis Mitte der 1970er-Jahre waren die Einnahmen der AHV meist höher als ihre Ausgaben. Das Wachstum der Löhne und die Anpassung der Beitragssätze ab 1969 erlaubten es, das Leistungsniveau anzuheben. Seit den 1980er-Jahren überstiegen die Einnahmen erneut die Ausgaben. Ausnahmen bildeten die zweite Hälfte der 1990er-Jahre, als der AHV-Ausgleichsfonds vorübergehend unter das Minimum einer Jahresausgabe sank, und die Jahre 2002 (New-Economy-Krise) und 2008 (Finanzkrise). Nach einem Kapitaltransfer an die IV beträgt das Kapitalkoto 2011 rund 40 Milliarden Franken. Die Einnahmen belaufen sich inklusive Kapitalertrag auf 39, die Ausgaben auf 38 Milliarden Franken (2011).

Literatur / Bibliographie / Bibliografia / References: Binswanger, Peter (1986), Geschichte der AHV, Schweizerische Alters- und Hinterlassenenversicherung, Zürich; Bundesamt für Sozialversicherungen (2005), Vergleich zwischen der AHV und der beruflichen Vorsorge (BV) aus wirtschaftlicher Sicht (Forschungsbericht 5/05), Bern; Website Bundesamt für Sozialversicherungen: www.bsv.admin.ch.

(12/2015)