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1972

Verankerung der Drei-Säulen-Doktrin in der Bundesverfassung

1972 haben die Stimmberechtigten die Wahl zwischen zwei Modellen der Altersvorsorge: Umwandlung der AHV zur Volkspension oder moderater Ausbau im Rahmen eines Drei-Säulen-Modells. Der Entscheid fällt klar zugunsten der bescheideneren Variante aus. 

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Am 3. Dezember 1972 nahmen die Stimmberechtigten eine wichtige Weichenstellung in der Altersvorsorge vor. Mit 75 Prozent Ja-Stimmen beschlossen sie die Verankerung der Drei-Säulen-Doktrin in der Bundesverfassung und eine obligatorische Berufsvorsorge. Gleichzeitig erteilten sie der Volksinitiative der Partei der Arbeit (PdA) "für eine Volkspension" eine Abfuhr. Die PdA-Initiative wollte die AHV stärken. Die staatliche Volkspension sollte künftig mindestens 60 Prozent des Einkommens abdecken, auf jeden Fall aber eine jährliche Rente von 6000 Franken garantieren. Die minimale AHV-Rente für Alleinstehende betrug damals 2640 Franken, der durchschnittliche Arbeiterlohn etwa 23'000 Franken pro Jahr. Faktisch hätte dies das Ende der öffentlichen und privaten Versicherungs- und Pensionskassen bedeutet. Diese sollten nach der Initiative in das neue Versicherungssystem "eingebaut" werden. Demgegenüber propagierte der Gegenvorschlag, hinter dem nicht nur die bürgerlichen Parteien, Wirtschaftsverbände und Privatversicherer, sondern auch die Sozialdemokratische Partei (SPS) und die Gewerkschaften standen, eine Kombination aus einer existenzsichernden AHV (1. Säule), einem Pensionskassenobligatorium (2. Säule) und der freiwilligen Selbstvorsorge (3. Säule). Schmackhaft gemacht wurde diese Vorlage zusätzlich durch die Ankündigung der 8. AHV-Revision, welche die bestehenden Renten auf einen Schlag verdoppeln sollte.

Mit ihrem Votum verhalfen die Stimmberechtigten einer "schweizerischen Lösung" der Altersvorsorge zum Durchbruch. Diese Lösung beruhte auf einer minimalen staatlichen Altersvorsorge und räumte der privaten Vorsorge grossen Raum ein. Vor dem Hintergrund der starken Zunahme der beruflich Versicherten (1941 waren es 15 Prozent, 1966 bereits 45 Prozent der Beschäftigten) hatte der Bundesrat 1963, unter Berufung auf ein Konzept der Privatversicherer, erstmals von "drei Arten" der Sicherung gesprochen. Erst unter dem Druck der PdA-Initiative und eines gleichzeitig eingereichten (und später zurückgezogenen) Volksbegehrens der SPS fand sich jedoch eine Mehrheit, die auch für die zweite Säule ein Obligatorium befürwortete.

Literatur / Bibliographie / Bibliografia / References: Leimgruber Matthieu (2008), Solidarity without the state? Business and the shaping of the Swiss welfare state, 1890–2000, Cambridge; Lengwiler Martin (2003), Das Drei-Säulen-Konzept und seine Grenzen: private und berufliche Altersvorsorge in der Schweiz im 20. Jahrhundert, Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, 48, 29–47.

(12/2014)