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Ausgleichskassen

Die Ausgleichskassen nehmen bei der Umsetzung der Sozialpolitik eine Schlüsselrolle ein. Sie verwalten unter anderem die Altersversicherung, die Invalidenversicherung und die Erwerbsersatzversicherung.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts gibt es in der Schweiz rund hundert Ausgleichskassen. Sie verwalten die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV), die Invalidenversicherung (IV), die Erwerbsersatzordnung für Dienstleistende und bei Mutterschaft (EO) sowie die Familienzulagen. Die Ausgleichskassen erheben die Abzüge bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, Selbstständigen sowie Nichterwerbstätigen. Sie sind zuständig für die Auszahlung der Leistungen dieser Versicherungen. Die Ausgleichskassen sind juristisch unabhängige Institutionen. Verbindungsglied zwischen den Ausgleichskassen ist seit 1948 die Zentrale Ausgleichsstelle in Genf. Sie verbucht die Beiträge aller Ausgleichskassen und stellt ihnen die Mittel zur Auszahlung der Renten zur Verfügung. Sie führt zudem ein zentrales Versicherten- und Rentenregister. Die Ausgleichskassen spielen deshalb heute eine führende Rolle bei der Umsetzung der Sozialpolitik.

Die ersten Ausgleichskassen wurden in der Zwischenkriegszeit in der französischsprachigen Schweiz von Unternehmern aus dem christlich-sozialen Milieu gegründet. So wurden 1938 acht Kassen mit der Auszahlung von Familienzulagen für einen kleinen Kreis von Begünstigten (rund 12.000 Personen) auf genossenschaftlicher Basis beauftragt. Als Vorbild dienten ähnliche Versuche, die in den 1920er- und 1930er-Jahren von französischen und belgischen Unternehmern entwickelt worden waren. Die Ausgleichskassen ermöglichten die gezielte Ausrichtung von Sozialleistungen anstelle von Lohnerhöhungen und begünstigten das Aufkommen einer vom Staat und den Gewerkschaften unabhängigen betrieblichen Sozialpolitik. Dieser Wille zur Autonomie war auch im christlich-sozialen Umfeld vorhanden, das sich gegen den Eingriff des Staates in die Familienpolitik wehrte. Die Vermischung von unternehmerischem Handeln und christlich-sozialen Grundsätzen stand auch unter dem Einfluss korporatistischer Ideale (Gesellschaft als Organismus, Kritik an der liberalen Demokratie), die damals bei der politischen Rechten der französischen Schweiz hoch im Kurs standen.

Zwischen 1938 und 1940 war die Gründung von Ausgleichskassen auf breiter nationaler Ebene eng mit der Entwicklung der Erwerbsersatzordnung für Aktivdienstleistende (EO) verbunden. Innerhalb weniger Monate gründete der Zentralverband der schweizerischen Arbeitgeberorganisationen (ZSAO) ein Netz von mehreren Dutzend Ausgleichskassen, die von Arbeitgeber- oder Berufsverbänden geführt wurden. Zu diesen betrieblichen Einrichtungen kamen in der Folge kantonale und eidgenössische Kassen. Von Anfang an kontrollierten die Arbeitgeberverbände die ausführenden Organe der EO und konnten so das Eingreifen des Staates und der Gewerkschaften beschränken. Sie kontrollierten den Beitrags- und Leistungsfluss und verhinderten damit, dass allzu genaue statistische Angaben über ausbezahlte Vergütungen und Löhne an die Öffentlichkeit gelangten. Die Ausgleichskassen spielten auch eine wichtige Rolle bei der internen Konsolidierung der Arbeitgeberorganisationen. Die Kassen waren obligatorisch, was den Zusammenhalt und das gemeinsame Handeln der Arbeitgeber erleichterte.

Die organisatorische Struktur der EO und ihre Finanzierung durch Lohnbeiträge dienten als Modell und Grundlage für die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV). Ab 1948 waren die Ausgleichskassen der EO für Aufgaben im Zusammenhang mit der Einführung der AHV-Renten und ab 1960 der Invalidenrenten zuständig. Nach 1945 gründeten regionale Arbeitgebervereine ebenfalls zahlreiche Ausgleichskassen für die Familienzulagen, welche zwischen 1943 und 1966 durch kantonale Gesetzgebungen eingeführt wurden und seit 2006 in einem Bundesgesetz geregelt sind.

> Die Erwerbsausfall- und Mutterschaftsentschädigung in Zahlen

Literatur / Bibliographie / Bibliografia / References: Eichenberger Pierre (2013), Les caisses de compensation en Suisse : du rêve corporatiste local au centralisme patronal (1929-1938), contribution présentée aux Journées suisses d’histoire, Fribourg 2013. HLS / DHS / DSS:Familienzulagen; Erwerbsersatzordnung (EO).

(12/2014)