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Die Verwaltung der Arbeitslosenversicherung

1977 tritt die obligatorische Arbeitslosenversicherung in Kraft. Die Organisation der Arbeitslosenversicherung stützt sich weitgehend auf bestehende Einrichtungen. Arbeitslosenkassen und Arbeitsämter spielen dabei eine zentrale Rolle. Für die Aufsicht über die verschiedenen öffentlichen und privaten Einrichtungen ist eine Bundesinstanz, das Bundesamt für Industrie, Arbeit und Gewerbe, zuständig.

Seit der Einrichtung der ersten Arbeitslosenkassen Ende des 19. Jahrhunderts, hatte ein Teil der Arbeiterschaft die Möglichkeit, sich freiwillig gegen das Risiko Arbeitslosigkeit zu versichern. Zudem führten einige Kantone bereits vor dem Bund eine obligatorische Arbeitslosenversicherung für alle oder einen Teil der Arbeitnehmenden ein. Grundsätzlich mussten sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei einer gewerkschaftlichen, paritätischen oder öffentlichen Arbeitslosenkasse versichern, wenn sie bei einem Stellenverlust Leistungen beziehen wollten. Die Arbeitslosenkassen waren für die Kontrolle der Versicherten, die Eintreibung der Beiträge und für die Leistungsauszahlungen zuständig. Seit 1924 erhielten Arbeitslosenkassen Bundessubventionen.

Das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (BIGA, heute SECO) war für die Aufsicht über die privaten subventionierten Kassen zuständig. Zudem hatte das BIGA eine Kontroll- und Aufsichtsfunktion für die Einhaltung des Rahmengesetzes zur Arbeitslosenversicherung. Ebenso koordinierte das BIGA die kantonalen Arbeitsämter. Vor Einführung der obligatorischen Arbeitslosenversicherung war das BIGA federführend in den Gesetzesrevisionen zur Arbeitslosenversicherung. So auch 1974, als eine Expertenkommission mit der Ausarbeitung eines Gesetzes zur obligatorischen Arbeitslosenversicherung betraut wurde. 

Die Aufgabenteilung zwischen BIGA, Arbeitsämtern und Arbeitslosenkassen

Das neue Gesetz zur obligatorischen Arbeitslosenversicherung stützte sich in grossem Masse auf die bereits bestehenden Institutionen. Durchführungsorgane waren die etablierten Arbeitslosenkassen und die Arbeitsämter. Für die Aufsicht über die Arbeitslosenversicherung war nach wie vor das BIGA zuständig, im Gegensatz zuden anderen Sozialversicherungen, für die das Bundesamt für Sozialversicherungen zuständig war. Der Grund für die unterschiedliche Zuständigkeit war, dass die Arbeitslosenversicherung und die mit ihren verbundenen Einrichtungen eng mit der Regulierung des Arbeitsmarktes verbunden waren.  Das Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung (AVIG) brachte 1982 die Gesetzgebung zum Abschluss und regelte die nun zentralisierte Verwaltung der Arbeitslosenversicherung. Grundsätzlich war die Organisation der Arbeitslosenversicherung in drei Bereiche aufgeteilt: Beitragszahlung, Ausbezahlung der Arbeitslosenentschädigungen und Stellenvermittlung. 

Die Organisation und Aufsicht der Finanzierung der Arbeitslosenversicherung wurde mit der obligatorischen Arbeitslosenversicherung beim BIGA (seit 1999 dem SECO) zentralisiert. Die Beiträge wurden neu paritätisch finanziert. Die Hälfte entrichteten die Versicherten in lohnabhängigen Beiträgen, die andere Hälfte die Arbeitgeber. Die Beiträge flossen in den dem BIGA angeschlossenen Ausgleichsfonds der Arbeitslosenversicherung, der das Geld für die Entschädigungen und die Verwaltungskosten an die Arbeitslosenkassen ausbezahlte. Die Ausgleichsstelle war für die Verbuchungen der Beiträge sowie die Überprüfung der Arbeitslosenkassen und der kantonalen Amtsstellen zuständig. Die Ausgleichstelle wiederum war der Aufsichtskommission Rechenschaft schuldig. Eine aus Vertretern der Sozialpartner, Bund, Kantonen und Wissenschaft bestehende Aufsichtskommission überwachte die Entwicklung des Ausgleichsfonds und konnte den Bundesrat beraten. Die Aufsichtskommission ist bis heute das oberste Vollzugsorgan der Arbeitslosenversicherung. 

Für die Auszahlung der Arbeitslosenentschädigungen waren und sind bis heute die privaten und öffentlichen Arbeitslosenkassen zuständig. Die unselbständigen Arbeitnehmenden waren nun automatisch versichert. Erst bei einem Stellenverlust und Anrecht auf Arbeitslosenentschädigungen meldeten sich die Arbeitslosen bei einer frei wählbaren Kasse. Da die ersten Arbeitslosenkassen von Gewerkschaften gegründet wurden, spielen diese bis heute eine wichtige Rolle in der Verwaltung der Arbeitslosenversicherung. Neben den privaten Kassen existierten mittlerweile in jedem Kanton eine öffentliche Arbeitslosenkasse, die im Verband der öffentlichen Arbeitslosenkassen zusammengeschlossen sind. 

Die kantonalen Amtsstellen, die diese Aufgabe an die Gemeindearbeitsämter übertragen konnten, waren für die Stellenvermittlung und die Kontrolle der Arbeitslosen zuständig. Die Arbeitsämter konnten zudem mit den Geldern der Arbeitslosenversicherung Präventivmassnahmen wie Kurse oder Beschäftigungsprogramme finanzieren. Der Entscheid über Präventivmassnahmen oblag den kantonalen Amtsstellen, die der Ausgleichstelle darüber Bericht erstatten musste.

Die Arbeitsämter und die Arbeitslosenkassen arbeiteten eng, jedoch arbeitsteilig zusammen. Die Arbeitsämter klärten die Anspruchsberechtigung ab, so mussten Arbeitslose beim Arbeitsamt „stempeln“ und so  ihre Verfügbarkeit beweisen. Stempel auf der Kontrollkarte gaben Anrecht auf Arbeitslosenentschädigungen, ausbezahlt von der Arbeitslosenkasse. Die Kassen waren neben den Auszahlungen für die Sanktionierungen, zum Beispiel bei Kündigungen durch den Arbeitnehmer, zuständig. Als Sanktion konnte die Arbeitslosenkasse Einstelltage verhängen, das heisst einen Teil der Arbeitslosenentschädigungen streichen; diese Bestimmung gilt bis heute.

Die Verwaltung der Aktivierungspolitik seit 1995

1995 verabschiedete die Bundesversammlung die zweite Teilrevision des AVIG, die eine Reorganisation der Verwaltung der Arbeitslosenversicherung zur Folge hatte. Die Revision sah die Einführung einer Aktivierungspolitik vor, die den Fokus auf die Wiedereingliederung der Arbeitslosen legte. Während die Arbeitslosenkassen die Verantwortlichen für die Auszahlung der Entschädigungen blieben, übernahmen die Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) die Funktionen der Arbeitsämter. Neu waren die RAV für die Stellenvermittlung sowie die Kontrolle der Arbeitslosen zuständig. Die Kontrolle erfolgte nicht mehr anhand eines Stempels, der die physische Verfügbarkeit von Arbeitslosen erfasste, sondern in einem allmonatlich stattfindenden Beratungsgespräch. In den Gesprächen wurde von nun an die Stellenbemühungen kontrolliert sowie Stellen, Bildungs- und Beschäftigungsmassnahmen vermittelt. Die Finanzierung der RAV war durch die Arbeitslosenversicherung gesichert. Die RAV nahmen 1997 ihren Betrieb auf, 2018 existierten rund hundert RAV schweizweit.

Um die Wiedereingliederung der Arbeitslosen zu fördern mussten die Kantone sogenannte arbeitsmarktliche Massnahmen (AMM), also Weiterbildungskurse und Beschäftigungsprogramme, ausbauen und durchführen. Die AMM sollen die Vermittlungsfähigkeit der Arbeitslosen verbessern. Die Kantone sind dafür verantwortlich, die notwendige Anzahl an Plätzen in AMM bereitzustellen und erhalten dafür Mittel der Arbeitslosenversicherung. Dafür bildeten die Kantone Logistikstellen arbeitsmarktliche Massnahmen (LAM), die die arbeitsmarktlichen Massnahmen planen, koordinieren, prüfen und weiterentwickeln.  

Die Durchführung der arbeitsmarktlichen Massnahmen ist von privaten und öffentlichen Einrichtungen auf lokaler wie auch auf Bundesebene abhängig. Die arbeitsmarktlichen Massnahmen werden von privaten, nicht gewinn-orientierten und öffentlichen Einrichtungen angeboten und durchgeführt. Die Arbeitslosenversicherung erstattet den Anbietern die dafür notwendigen Kosten. Die kantonalen Amtsstellen beaufsichtigen die Anbieter der arbeitsmarktlichen Massnahmen und kontrollieren die Einhaltung der Leistungsvereinbarungen. Die  Kantone wiederum sind dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO, vorher: BIGA) rechenschaftspflichtig. Das SECO erteilt regelmässig Weisungen, um für eine einheitliche Rechtsanwendung zu sorgen. So kontrolliert das SECO als Aufsichtsbehörde die Einhaltung von gesetzlichen Vorgaben des Vollzugs.

Mit der wachsenden Bedeutung des Aktivierungsprinzips in anderen Versicherungszweigen drängte sich eine vermehrte Zusammenarbeit auf. Die Interinstitutionelle Zusammenarbeit (IIZ) soll die Aktivitäten und Angebote zur beruflichen Eingliederung der Arbeitslosenversicherung, Invalidenversicherung, Sozialhilfe und Berufsbildung besser koordinieren. 

Literatur / Bibliographie / Bibliografia / References: Magnin, Chantal (2005): Beratung und Kontrolle. Widersprüche in der staatlichen Bearbeitung von Arbeitslosigkeit, Seismo Verlag Zürich; Tabin Jean-Pierre, Togni Carola (2013), L’assurance chômage en Suisse. Une socio-histoire (1924-1982), Lausanne.

(02/2019)