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Karitative Organisationen
Karitative, darunter insbesondere konfessionelle Organisationen engagieren sich seit dem Mittelalter in der Armenpflege. Im 19. Jahrhundert richten sie ihre wohltätige Arbeit auf die Bedürfnisse der Industriegesellschaft aus und übernehmen im 20. Jahrhundert wichtige ergänzende Aufgaben im Sozialstaat.
Karitative Organisationen gehören zusammen mit den Privatversicherungen und den Hilfskassen zum privaten Sektor des schweizerischen Sozialstaats. Sie gliedern sich in säkulare und konfessionelle Organisationen, wobei die konfessionellen Einrichtungen bis ins 20. Jahrhundert prägend waren.
Von den Bruderschaften zu den Diakonissen und Kongregationen
Konfessionelle Organisationen erfüllten traditionell eine wichtige Rolle in der Armenpflege. Katholische Bruderschaften stellten sich seit dem Mittelalter in den Dienst der „Karitas“. Mit diesem Begriff bezeichnete die Kirche eine praktizierte Nächstenliebe und Wohltätigkeit, zu der sie alle Kirchenmitglieder aufrief und für die sie auch eigene Einrichtungen schuf. Kirchen, christliche Orden und Bruderschaften sorgten für Arme und leisteten materielle Unterstützung für Schulen und Spitäler. Viele Bruderschaften wurden durch Mitglieder von Handwerkszünften ins Leben gerufen und setzten sich aus Männern oder Frauen, Geistlichen oder Laien zusammen.
Nach der Reformation entstanden auch im Protestantismus karitative Organisationen. Im 17. und 18. Jahrhundert bildeten sich etwa reformierte Schwesterngemeinschaften, die sich der Diakonie verpflichteten, dem sozialen Handeln nach den Grundsätzen der christlichen Ethik. Die „Diakonissen“ betätigten sich aktiv in der Armen- und Krankenpflege.
Während der Zeit des Kulturkampfs im 19. Jahrhundert stellten liberale und radikale Kräfte die katholischen Klöster und Orden in Frage und veranlassten teilweise deren Aufhebung. Als Folge formierten sich weibliche oder männliche Kongregationen, die sich von den klösterlichen Orden dadurch unterschieden, dass sie weniger strenge Regeln befolgten. Sie widmeten sich ebenfalls der Karitas, nicht zuletzt um die Daseinsberechtigung kirchlicher Organisationen zu unterstreichen.
Karitative Organisationen in der Industriegesellschaft
Die Industriegesellschaft schuf neue Formen der Bedürftigkeit, die von den Zeitgenossen unter dem Sammelbegriff der „sozialen Frage“ debattiert wurden. Konfessionelle Organisationen wie die Kongregationen und Diakonissengemeinschaften leisteten einen wichtigen Teil zur Bewältigung dieser Probleme, indem sie sich in Heimen und Anstalten, Gefängnissen und Spitälern engagierten. Die Kongregationen leisteten auch wichtige Dienste für die katholischen Minderheiten der reformierten Industrieregionen und Städte.
Christliche Hilfswerke im Sozialstaat
Neben den Kongregationen und Diakonissengemeinschaften entstanden Ende des 19. Jahrhunderts zahlreiche christliche Werke und Vereine, die im lokalen Kontext soziale Aufgaben wahrnahmen. Auf katholischer Seite erhielten sie 1901 mit der Caritas eine Dachorganisation, die sich schrittweise zum heutigen Hilfswerk entwickelte. Die Caritas widmete sich zunächst den Bedürftigen im Inland, nach dem Zweiten Weltkrieg auch den Kriegsopfern und Flüchtlingen in Europa. Seit 1958 ist die Organisation weltweit tätig. Im Jahr 1945 entstand als reformiertes Pendant das Hilfswerk der Evangelischen Kirchen der Schweiz (HEKS). Wie die Caritas war das HEKS zunächst ebenfalls im europäischen Wiederaufbau und in der Flüchtlingshilfe tätig, bevor es seine Aktivitäten auf notleidende Länder ausdehnte.
Neben den christlichen Hilfswerken sind auch säkulare Organisationen karitativ tätig, etwa kleinere Hilfsorganisationen (Vereine und Stiftungen) und grössere Hilfswerke. Zu den letzteren können unter anderem die Pro-Organisationen, das Arbeiterhilfswerk (SAH), die Berg- und Winterhilfe und die Glückskette gezählt werden. Das wichtigste unter ihnen hinsichtlich Grösse und Alter ist das Schweizerische Rote Kreuz (SRK), das 1866 gegründet wurde. Seine Tätigkeiten konzentrierten sich zunächst auf die Sanitätshilfe im Kriegsfall und wurden sukzessive auf das Krankenwesen, die Katastrophen- und Flüchtlingshilfe sowie weitere soziale Aufgaben ausgeweitet.
Die karitativen Organisationen erreichten in der Mitte des 20. Jahrhunderts den Höhepunkt an Mitgliederzahlen und betreuten Einrichtungen. Eine von der Caritas durchgeführte Erhebung von 1952 ergab die beeindruckende Zahl von rund 800 Anstalten, Heimen und Schulen. Mit dem Ausbau des Sozialstaats ging die Zahl der karitativen Organisationen zurück. Indem sie ihre Angebote auf neue Zielgruppen wie Arbeitslose, Asylsuchende, alleinerziehende Mütter, Betagte und Sterbende ausrichteten, behielten sie jedoch eine wichtige soziale Funktion. Beispiele für ihre vielfältige Tätigkeit sind Notschlafstellen, Betreuungs- und Integrationsangebote sowie Märkte für verbilligte Lebensmittel und Kleider.
Literatur / Bibliographie / Bibliografia / References: Heim Urs F. A. (1998), Leben für andere. Die Krankenpflege der Diakonissen und Ordensschwestern in der Schweiz, Basel ; Altermatt Urs et al. (2002), Von der katholischen Milieuorganisation zum sozialen Hilfswerk. 100 Jahre Caritas Schweiz, Luzern; HLS / DHS / DSS: Bruderschaften ; Kongregationen ; Diakonissen ; Caritas ; Hilfswerk der Evangelischen Kirchen der Schweiz (HEKS).
(12/2015)