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Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft (SGG)

Die Idee der sozialen Verantwortung war das Fundament der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft und weiterer Vereinigungen, die sich für die Wohlfahrt und für Sozialreformen einsetzten. Die soziale Frage sowie Bildung und Familienpolitik standen im Zentrum der Aktivitäten der SGG, die im 19. und 20. Jahrhundert eine Plattform für die sozialreformerischen Debatten des schweizerischen Bürgertums bot.

Seit der Gründung 1810 waren unter dem Dach der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG) verschiedene Wohltätigkeitsvereine vereint, die sich vor allem im Sozial- und Bildungsbereich hervortaten. In der Gesellschaft waren liberale Persönlichkeiten katholischer und protestantischer Konfession gleichermassen aktiv. Die SGG galt als wichtiges Diskussionsforum der reformorientierten Elite. Auch Frauen waren darin vertreten; sie gründeten 1888 den Schweizerischen Gemeinnützigen Frauenverein.

Im Lauf des 19. Jahrhunderts gründete die SGG verschiedene Heime und Schulen für Bedürftige und kümmerte sich um die Lehrerausbildung. Im 20. Jahrhundert konnte sie dank eines Vermögens aus Spenden und Vermächtnissen verschiedene Sozialwerke und Initiativen finanziell unterstützen. Sie war eng an der Gründung von Stiftungen wie Pro Juventute (1912), Pro Senectute (1917) und Pro Mente Sana (1978) beteiligt.

Die SGG setzte sich für bürgerliche, wirtschaftsliberale Werte und die Privatinitiative im Bereich der Sozialen Sicherheit ein. Gegenüber dem Sozialstaat war sie vorerst kritisch eingestellt. Viele Mitglieder der SGG zogen die Erweiterung privater Absicherungsformen vor und traten für ein liberales Vorsorgesystem ein. Sie sahen in den Sozialversicherungen eine Konkurrenz zur Privatinitiative, auf die sich die SGG selber berief. Kollektive Vorsorgeformen führten ihrer Meinung nach zur Erosion der Eigenverantwortung. Ende des 19. Jahrhunderts traten dann aber auch innerhalb der SGG Meinungsverschiedenheiten zwischen einem antistaatlichen Flügel, der den liberalen Idealen treu blieb, und den Anhängern von Sozialreformen auf. Unter letzteren befanden sich vor allem protestantische Pfarrer, Ärzte, Juristen und Politiker. Im Lauf des 20. Jahrhunderts nahm die SGG dann eine Position ein, die einer massvollen Entwicklung des Sozialstaats positiv gegenüber stand. Dieser wurde nun als Ergänzung und nicht mehr als Konkurrenz zur Privatinitiative betrachtet.

Die SGG unterstützte eine Kranken- und Unfallversicherung, die auf unabhängigen Krankenkassen basierte. Der 1900 verworfene Entwurf und auch das 1911 angenommene Gesetz ernteten allerdings innerhalb der SGG Kritik, befürchteten die Gemeinnützigen doch ein Übergewicht des Staats.

Die wirtschaftliche Depression der 1920er-Jahre und die Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre (1932-1937) führten die private Wohltätigkeit und die öffentliche Wohlfahrt an ihre Grenzen, was den Flügel stärkte, der innerhalb der SGG für eine staatliche Sozialpolitik eintrat. Die SGG befürwortete nun eine Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV), welche die bestehenden privaten Pensionskassen nicht konkurrierte. Nicht zuletzt erwartete die SGG, dass die Ausgaben für die öffentliche und private Wohlfahrt dank der Einführung der AHV sinken würden. Die Stiftung für das Alter (Pro Senectute) wurde 1917 gegründet, um sich für die Einführung der AHV einzusetzen. Die SGG gründete 1920 zudem eine Kommission für Sozialversicherungsfragen, die 1925 die Annahme einer Verfassungsgrundlage für die AHV unterstützte.

In den 1930er-Jahren widmete sich die SGG vermehrt der Familienpolitik. Ab 1932 übernahm sie die Koordination der Schweizerischen Familienschutzkommission, die sich unter anderem für die allgemeine Einführung von Familienzulagen einsetzte. Während des Zweiten Weltkriegs erreichte die Kommission, dass bei der Festsetzung der Erwerbsersatzordnung (1939/1940) die Familienpflichten der Soldaten berücksichtigt wurden. Damit unterstützte sie den Ausbau eines Sozialstaates, der auf die Sicherung des Familieneinkommens des Ehemannes ausgerichtet war.

Trotz der Konzentration auf die Familienpolitik setzte sich die SGG weiterhin für die AHV ein. Verschiedene Experten, die sich an der Erarbeitung des Gesetzes von 1947 beteiligten, waren Mitglieder der SGG. Mehr noch als zur aktiven Gesetzesarbeit trug die SGG durch Tagungen und Publikationen zu einer lebhaften Debatte bei. Als soziales Netzwerk bürgerlicher Kreise, die sich für die Entwicklung des Sozialstaates interessierten, bildete die SGG zumindest bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts eine wichtige Stimme in der Debatte um die Soziale Sicherheit.

Nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Sozialversicherungen erweitert wurden, lässt sich ein gewisser Stillstand innerhalb der SGG beobachten; die Gesellschaft verfolgte zwar weiterhin die Entwicklung der Sozialgesetzgebung, beteiligte sich jedoch nicht mehr aktiv daran. In ihren Blick geriet dagegen die Betreuung von Menschen mit psychischen Erkrankungen, was wesentlich zur Gründung von Pro Mente Sana im Jahr 1978 beitrug. Die SGG bemühte sich auch, die Rolle der privaten Wohltätigkeit innerhalb des expandierenden Sozialstaates neu zu definieren. Ab den 1990er-Jahren fand die SGG im Kontext der Wirtschaftskrise, dem Aufkommen der «neuen Armut» und der Infragestellung des Sozialstaates zu einer neuen Dynamik zurück, die zu einer Modernisierung und Neubewertung der Freiwilligenarbeit hinführte.

Literatur / Bibliographie / Bibliografia / References: Schumacher Beatrice (Hg.) (2010), Freiwillig verpflichtet. Gemeinnütziges Denken und Handeln in der Schweiz seit 1800, Zürich. HLS / DHS / HSS: Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft (SGG).

(12/2014)