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Rentner und Rentnerinnen

Die Definition und die Betrachtungsweise des Alters haben sich in unserer Gesellschaft tiefgreifend verändert. Der Begriff des Rentenalters als spezifischer Lebensabschnitt kam erst im Lauf des 20. Jahrhunderts und parallel zur Entwicklung der Altersvorsorge auf.

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts hat sich dank der besseren Lebensbedingungen und des medizinischen Fortschritts die Lebenserwartung laufend erhöht. 1860 waren nur 8.5 Prozent der Wohnbevölkerung der Schweiz älter als 60 Jahre. 1941, vor der Einführung der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV), erreichte der Anteil bereits 13 Prozent der Wohnbevölkerung. Dies war eine Erhöhung von rund 50 Prozent. Seit 1941 nahm die Zahl der älteren Menschen über 60 Jahre weiter zu und betrug zu Beginn des 21. Jahrhunderts 20 Prozent der Wohnbevölkerung. Die demografische Alterung ist somit kein neues Phänomen. Trotzdem war sie im 20. Jahrhundert bei der Diskussion über die Entwicklung der Altersvorsorge von grosser Bedeutung.

Die Statistiken über die fortschreitende Alterung widerspiegeln ganz unterschiedliche Aspekte: Das Alter wird je nach gesellschaftlicher Stellung und beruflicher Karriere, Gesundheitszustand, Staatsangehörigkeit und Geschlecht ganz unterschiedlich erfahren. Ebenso hat sich die Wahrnehmung des Alters im Lauf der Zeit immer wieder verändert.

Vom Alter zur Rente

Parallel zur höheren Lebenserwartung erschwerten die veränderten Familienstrukturen und die rasante Entwicklung der Industriegesellschaft die Existenzbedingungen älterer Menschen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war das Alter ein wichtiger Grund für Armut und Bedürftigkeit. Die meisten älteren Menschen ohne Erwerbseinkommen und ohne Vermögen waren von ihren Angehörigen und der Fürsorge abhängig. Nur eine kleine Minderheit kam in den Genuss von Leistungen der ersten Pensionskassen. Das «Rentenalter» als Lebensphase, die durch ein regelmässiges Renteneinkommen gesichert ist, stand noch ganz am Anfang.

Während der leidenschaftlich geführten Debatten um die Einführung der AHV zwischen 1918 und 1947 standen sich zwei widersprüchliche Bilder von älteren Menschen gegenüber: einerseits eine negative Darstellung des Alters als Synonym für Verfall, physische Gebrechlichkeit und materielle Bedürftigkeit, andererseits eine positivere Darstellung mit der Betonung der Solidarität zwischen den Generationen und zwischen erwerbstätigen und nicht mehr erwerbstätigen Personen. Wie altert man in Würde nach einem langen Arbeitsleben? Oder mit anderen Worten, und um den Titel der Volksinitiative von 1941 für eine eidgenössische Altersversicherung zu zitieren: Wie kann ein «Gesichertes Alter» gewährleistet werden? Mit der Auszahlung der ersten AHV-Renten im Januar 1948 fand diese drängende Frage eine erste Antwort. Die Gründung der AHV bildete die offizielle Anerkennung des Rentenalters als drittes Lebensalter (nach der Jugend und dem Berufsleben) und schuf die Voraussetzungen für das Aufkommen der neuen sozialen Gruppe der Rentnerinnen und Rentner.

Der Ruhestand als Lebensalter

1920 übten 83 Prozent der Männer zwischen 65 und 69 Jahren und 60 Prozent der über 70-Jährigen noch eine Berufstätigkeit aus. Ende des Jahrhunderts waren diese Anteile auf 17 respektive 5 Prozent gefallen. Die Erhöhung des AHV-Rentenniveaus (von 10 Prozent eines durchschnittlichen Einkommens 1947 auf rund 35 Prozent seit 1978), die Einführung der Ergänzungsleistungen 1966, sowie der laufende Ausbau der beruflichen Vorsorge erleichtern den Übergang von der Erwerbstätigkeit zur Rente. Dies gilt insbesondere für die berufliche Laufbahn der Männer, die während des gesamten aktiven Lebens einer bezahlten Erwerbstätigkeit nachgegangen sind. Die Frauen haben eine höhere Lebenserwartung als die Männer und stellen die grosse Mehrheit der über 80-Jährigen dar, ihre Karrieren verlaufen jedoch meist weniger gradlinig, da sich bei ihnen Zeiten der Erwerbstätigkeit und der Haus- und Familienarbeit abwechseln. Während eines halben Jahrhunderts berücksichtigte die AHV diesen wesentlichen Beitrag nicht, und die Frauen wurden vor allem über Ehepaarrenten in die AHV integriert (letztere wurden im Rahmen der 10. AHV-Revision 2003 aufgehoben).

Der zunehmende Rückzug älterer Menschen aus dem Arbeitsmarkt ging aufgrund der höheren Lebenserwartung mit einer Verlängerung des Ruhestands einher. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erreichte weniger als die Hälfte der Schweizer Wohnbevölkerung das Alter von 65 Jahren und konnte darauf hoffen, ein Jahrzehnt nach diesem Zeitpunkt noch zu leben. Ein Jahrhundert später erreichen 9 von 10 Personen das Rentenalter. Diese haben zu diesem Zeitpunkt eine durchschnittliche Lebenserwartung von weiteren 18 Jahren. 2012 erhielten über zwei Millionen Menschen monatlich eine AHV-Rente. Auch wenn mehr als ein Drittel davon ausserhalb der Landesgrenzen leben, machen die Rentenbezüger doch einen bedeutenden Anteil (rund 20%) der Gesamtbevölkerung aus.

Parallel zum Ausbau der Leistungen der Altersvorsorge wurden auch die medizinisch-sozialen Begleitstrukturen für das Alter signifikant ausgebaut. Obwohl sich die gesundheitliche Belastung von Beruf zu Beruf bis heute stark unterscheidet, führten die Fortschritte in diesem Bereich insgesamt doch zu einem besseren Gesundheitszustand älterer Menschen und einer höheren Lebensqualität. Die Kombination aus einer höheren Lebenserwartung, der verbesserten finanziellen Situation und dem medizinisch-sozialen Fortschritt verschob die «Altersgrenze» nach hinten, so dass sogar von einer gewissen «Verjüngung» des Alters gesprochen werden kann. Seit den 1960er-Jahren zeugen Freizeitangebote, Produkte und Dienstleistungen für ältere Menschen sowie die Einführung von Vergünstigungen in Kinos, Kultureinrichtungen und Sportanlagen von einem sehr aktiven Lebensstil vieler älterer Menschen und von ihrer Integration in die Konsumgesellschaft.

Alter, Politik und Beziehung zwischen den Generationen

Die Definition des Rentenalters als eigener Lebensabschnitt führte zur Gründung von Organisationen, die sich die praktische Unterstützung, die Reflexion über die spezifischen Bedürfnisse von Seniorinnen und Senioren und das politische Lobbying zur Aufgabe machten. So konzentriert sich der 1920 als gemeinnützige Organisation gegründete Verein Pro Senectute ab den 1980er-Jahren in zunehmendem Mass auf die körperliche und geistige Lebensqualität der Rentnerinnen und Rentner. Seit 1949 engagieren sich die Sektionen der AVIVO (Verband der Älteren, Invaliden, Witwen und Waisen) für den Ausbau der AHV und eine Verbesserung ihrer Leistungen. Auch die Grauen Panther, in der Deutschschweiz seit Ende der 1980er-Jahre aktiv und beeinflusst von ähnlichen Bewegungen in den USA und in Deutschland, setzen sich für die Interessen der Rentnerinnen und Rentner ein. Seit 2001 koordiniert der Schweizerische Seniorenrat auf nationaler Ebene die Aktivitäten dieser verschiedenen Gruppierungen.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts nimmt das Thema Altersvorsorge innerhalb der Sozialpolitik in der öffentlichen Debatte den grössten Raum ein. Die Zukunft und die Finanzierung der Rentensysteme bleiben umstritten. Nach über zwei Jahrzehnten wird die AHV mit dem Inkrafttreten der AHV-21 ab 2024 erstmals wieder reformiert, um die Finanzierung mittelfristig sicherzustellen. Mit dieser Reform wird das «Rentenalter» im Sozialversicherungsrecht vom «Referenzalter» abgelöst. Das Referenzalter bezeichnet das Alter, in dem die AHV-Rente ohne Zuschläge oder Abzüge bezogen werden kann. Das Referenzalter von Frauen wird ab 2024 demjenigen der Männer angepasst und ist aktuell (Stand 2024) für beide Geschlechter bei 65 Jahren festgesetzt. Das System des Referenzalters soll eine grössere Flexibilität vom Übergang des Erwerbslebens in die Pensionierung ermöglichen. Neu können 63- bis 70-Jährige ihre Altersrente schrittweise beziehen, in Form von Teilrenten. Damit soll die Arbeitszeit reduziert werden können und der daraus entstandene Erwerbsausfall mit einem Teilbezug der Rente ausgeglichen werden. Mit der vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund eingereichten Initiative «Für ein besseres Leben im Alter», die 2024 von der stimmberechtigten Bevölkerung angenommen wurde, soll die finanzielle Situation der Rentnerinnen und Rentner mit einer 13. AHV-Rente verbessert werden – besonders für diejenigen Rentnerinnen und Rentner mit kleinen finanziellen Möglichkeiten aus der beruflichen und privaten Altersvorsorge. Es ist die erste erfolgreiche Volksinitiative, die einen Ausbau des Sozialstaats über die AHV vorsieht.

Auch ab der Pensionierung tragen Rentnerinnen und Rentner einen grossen Beitrag zum sozialen Zusammenhalt bei. In der Schweiz übernehmen etwa Grosseltern und namentlich Grossmütter die Hälfte der familienexternen Betreuung von Kindern im Vorschulalter. In den Diskussionen um die Altersvorsorge geht dieser Aspekt teilweise unter und Rentnerinnen und Rentner werden lediglich als Leistungsbezüger und -bezügerinnen verstanden. Auch der Einsatz älterer Menschen in Vereinen ist ein wichtiger Teil der Freiwilligenarbeit und trägt zur gesellschaftlichen Solidarität bei, was wiederum allen Altersklassen zugutekommt.

> Die Altervorsorge in Zahlen

Literatur / Bibliographie / Bibliografia / References: Heller Geneviève (ed.) (1994), Le poids des ans. Une histoire de la vieillesse en Suisse romande, Lausanne; Lambelet Alexandre (2013) Des âgés en AG. Sociologie des organisations de défense des retraités, Lausanne. HLS / DHS / DSS:Alter; Lebenzyklus; Pensionierung.

(07/2024)